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Die fünfte Ausgabe der Bonner Perspektiven enthielt einen Artikel über die 1984 bis dato recht unbekannte Bonner Punkband Rabatz. Kurz erwägte ich eine Wiederveröffentlichung des Textes, verwarf dieses Gedanken aber wieder, da die Band ihre erste Hochphase erst einige Jahre später in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre erlebte, sie außerdem seit einigen Jahren wieder existiert und erneut aktiv ist. Also lag es nahe einen völlig neuen Artikel über Rabatz zu schreiben. Um die nötigen Informationen zu erlangen stellte ich Gitarrist und Bandleader Klaus "Jumbo" Jungblut per E-Mail einige Fragen und ich möchte mich an dieser Stelle für deren rasche Beantwortung bedanken. Das Endprodukt meines Schreibens seht ihr hier:
Vier vom britischen Punkrock inspirierte junge Männer aus Bonn beschlossen 1981 zusammen Musik zu machen und gründeten eine Band. Die Urbesetzung (die übrigens die gesamten achtziger Jahre über gleich blieb) bestand aus Klaus "Jumbo" Jungblut – Gitarre, Micha Thinius – Bass, Harald "Bobo" Sindhoff – Gesang und Manfred "Manni" Windolf – Schlagzeug. Mit Rabatz war ein Bandname rasch gefunden. Durch die Suche immer neuer Proberäume nebst diverser privater Schwierigkeiten konnte erst im Folgejahr ein Demotape aufgenommen werden, unter dem Titel "Pogo aus Bonn(z)" brachten Rabatz 1982 eine 13-Song-Cassette heraus. Gitarrist "Jumbo" erinnernd dazu: "Das nahmen wir damals in Neuwied auf. Uwe von machte das."
Musikalisch stachen Rabatz aus dem damals üblichen Punksound heraus. In Zeiten in denen "lauter, schneller, härter" der vorherrschende Trend war fielen sie mit ihrer im 77ger-Sound der ersten Generation von Punkbands gespielten Musik auf. Dabei verzichteten sie auf jegliche verkomplizierenden Rock-Einflüsse und ihre Songs blieben auf Kompaktheit reduziert. Ein bisschen erinnerten mich Rabatz an alte Lurkers-Sachen . Auch die Songs der Bonner Band waren melodisch und mit ebenso melodischem Gesang. Ein Sänger der sang und nicht schrie war in den Achtzigern eine Ausnahme. Typisch für Rabatz waren die eher mittelschnellen Songs (natürlich nur "mittelschnell" wenn man den späteren Hardcore als Messlatte anlegt), die aber trotzdem sehr dynamisch und treibend wirken. Dies kam durch das Schlagzeugspiel, was hauptsächlich seine Ursache im durchgehend an der Geschwindigkeitsobergrenze des 4/4-Takts agierenden und dabei sämtliche Viertelnoten auf der Hi-Hat spielenden Schlagzeugers hatte. Das ist sehr kraftraubend, und deshalb waren bei den meisten Punkbands nur manche Lieder derartig gespielt. Bei Rabatz waren es aber alle. Zudem unterschieden sich ihre Lyrics von jenen der meisten Gruppen. Natürlich waren sie in Deutsch (das in den Siebzigern auch von deutschen Punkbands als Standard angesehene Englisch war bei fast allen im Folgejahrzehnt entstandenen Gruppen verpönt), aber sie thematisieren persönliche Eindrücke und waren in der damals üblichen "Scheiß-Bullen"/"Scheiß-Stadt"/"Scheiß-Staat"-songtextlichen Einheitsthematik eine Ausnahme. Aus dieser Zeit stammt auch das oben zu sehende Bild. "Dieses Bild ist aus dem Proberaum im Sitzungssaal der Niederkasseler SPD. Ein halbes Jahr ging das gut (200 Anwohnerbeschwerden)."
Trotz dem durch ihr Demotape gesteigerten Bekanntheitsgrad hatte es keine gravierende Änderung gegeben, konnte die Band zu selten regelmäßig proben und war zu oft ausschließlich mit der Suche nach einem neuen Übungsraum beschäftigt. Aber wenigstens ergaben sich durch den neuen Szenetreffpunkt Treibhaus weitere Kontakte (so teilten sie etwa ein Jahr lang mit ihren Proberaum in Bonn-Endenich), die auch zu ihrem ersten öffentlichen Auftritt führten. "Das war 1984 in Brühl bei Köln. Auf Einladung von Sven Brux . Mit Boskops und Stosstrupp . Das war ein toller Gig. Zumal wir damals noch unsere Instrumente tauschten, Bobo und ich. Gitarre spielen und gleichzeitig singen...puuh...schwer. Mit der Tauscherei der Gitarren haben wir dann aufgehört und jeder hat sich auf seine Stärken besonnen."
Eine entscheidende Änderung ereignete sich im Folgejahr. Ein neuer und diesmal dauerhafter Proberaum sorgte für ein Durchstarten der Band. "Bis wir dann durch 'nen puren Zufall 1985 im "HI" in Troisdorf gelandet sind. Der Raum war sogar mit Mietvertrag. Dort haben wir viele Jahre verbracht." Von der neugefundenen Basis kreativen Schaffens beflügelt spielten Rabatz viele Gigs, nutzten fast jede sich bietende Auftrittsmöglichkeit. Zudem veröffentlichten sie mit "Helden" einen ersten Tonträger, eine in Eigenproduktion entstandene EP. Zwar hatten sie im Vergleich zu früheren Zeiten merklich an Sicherheit und Fähigkeit bei der Beherrschung ihrer Instrumente gewonnen, aber der grundlegende Stil ihrer Musik hatte sich nicht geändert. Interessant fand ich, dass Rabatz damals auf prägende Hardcoreelemente verzichteten. Auch hierin waren sie wieder eine Ausnahme, denn in der zweiten Hälfte der Achtziger beeinflusste dieser musikalische Trend die meisten Punkbands, sogar bekannte Gruppen wie die hatten einige sehr schnelle Songs in ihrem Programm.
Es blieb aber nicht bei diesem ersten Tonträger. Kurz nach dessen Erscheinen brachten sie mit "Irrenoffensive" eine eigene LP heraus, die ebenfalls in Eigenregie aufgenommen und produziert war. Der Langspielplatte folgte dann im gleichen Jahr noch eine weitere Schallplatte. Auf einer Split-EP mit der Troisdorfer Punkband (mit der Rabatz seit einigen Monaten ihren Proberaum teilten) erschien der Song "Die Scheißer sind wieder da", einem der wenigen Songs von Rabatz der sich textlich einem aktuellen politischen Thema widmete, in diesem Fall dem verstärkten Auftreten von Neonazis in jener Zeit.
Aber auch die Split-EP war nicht die letzte Veröffentlichung des Jahres, denn zudem waren Rabatz mit einem Song auf dem Kulturschock Attacke Vol.1 LP-Sampler vertreten, einem der seltenen "normalen" Punksampler in einer Zeit in der "Hardcore" die Punkmusik dominierte. Zwei Jahre später waren sie erneut auf einem Tonträger zu hören, präsentierten 1988 zwei eigens dafür aufgenommene Songs auf dem Bonn-Sampler Beethovens Rache, einer Compilation die nur aus Bonn selbst oder dem Bonner Umland stammende Bands beinhaltete und die einen Überblick über die aktiven Punkbands bieten sollte. (Labermeia: Diese Idee hat eine gewisse Eigendynamik entwickelt wurde im Laufe der Jahrzehnte immer wieder von aktiven Punks aufgegriffen. 2000 folgte mit Beethovens Alptraum ein zweiter Sampler (auf dem ich übrigens mit meiner damaligen Band Pissed but sexy auch vertreten bin) und 2015 der weiter unten erwähnte Beethovens Fluch).
In den Folgejahren konzentrierte sich die Band auf Live-Auftritte, spielte laut "Jumbo" bis 1990 ungefähr sechzigmal, bis es in diesem ersten Jahr eines neuen Jahrzehnts dann plötzlich vorbei war und Rabatz sich auflösten. "Dann '90 war es einfach vorbei. Kein Streit. Nix. Der beste Moment um aufzuhören. Das Feuer war erloschen. Irgendwann werden aus Freundinnen eben die Ehefrauen, Nestbautrieb und Brutpflege inklusive."
Die rabatzlose Zeit währte fast zwei Jahrzehnte, bis dann 2009 in "Jumbo" der Wunsch erwachte erneut mit Rabatz Musik zu machen. Da er noch Kontakt zu den anderen Bandmitgliedern besaß und sie auch so dachten einigten sie sich auf eine Testprobe. "Wir durften Räumlichkeiten sowie Equipment einer anderen Band benutzten. Es war schon sehr klasse den alten Sound aufleben zu lassen. Seitdem geht es mehr oder weniger wieder rund bei Rabatz. Klar wurde sofort, dass wir natürlich neue Stücke machen, bis zum heutigen Tage." In der gleichen Besetzung wie in den achtziger Jahren formierte sich Rabatz nach der erfolgreichen Probe erneut. In diesem Zeitraum (aufgenommen 2010) entstand auch das zweite Bandphoto. Auch der erste Auftritt nach der Neugründung ließ nicht lange auf sich warten. Schon im Folgejahr konnten Rabatz beim Beuler Schrottplatz-Festival ein erstes Konzert geben und die Zuhörer über ihr Wiederentstehen und die immer noch vorhandenen (eher durch jahrelanges Üben noch gewachsenen) musikalischen Fähigkeiten geben. Damals saß wie in den Gründungstagen noch "Manni" Windolf am Schlagzeug, der dann aber nach dieser ersten Auftrittserfahrung nach fast zwanzigjähriger Pause die Band verließ. Er wollte nicht mehr live spielen, sah sich aus gesundheitlichen und privaten Gründen nicht mehr in der Lage die Anforderungen erfüllen zu können. Eine schmerzliche, aber auch nachvollziehbare Entscheidung. Ersatz für diese Position war schnell gefunden, mit Rene Lettkemann wurde ein alter Bekannter der Band neuer Drummer, übernahm diesen wichtigen Part.
Wie Mitte der achtziger Jahre nahmen Rabatz in ihrer zweiten Bandphase dann jede Auftrittsmöglichkeit wahr, spielten zum Teil in den gleichen Lokalitäten wie Jahre zuvor. "Jumbo" zu seinen Erfahrungen dabei: "Erst mal fühlt es sich super an mit den Jungs. Alles empfinde ich viel bewusster. Es überrascht mich wie viele Leute sich an Rabatz erinnern. Überhaupt ist es toll zu sehen, dass Nachwuchs im Punk/HC vorhanden ist. Diese Punkblase ist sowieso nicht zu greifen. Es geht immer weiter."
Diesmal vergingen nach einem ersten Auftritt nur drei Jahre bis ein neuer Longplayer von Rabatz erschien. Das Label Hörsturz Produktionen veröffentlichte 2013 die neue LP "Vorwärts immer - Rückwärts nimmer" . Diese Platte bietet einen guten Überblick über die fast zwanzig Jahre auseinanderliegenden Existenzphasen der Band. Die erste Seite enthält neue Aufnahmen ihrer alten Lieblingssongs, während auf der zweiten Seite ausschließlich neuere Stücke zu finden sind, ist somit eine Dokumentation ihres kreativen Schaffens in zwei verschiedenen Dekaden.
Zwei Jahre nach diesem Tonträger konnten Rabatz auf eine zweite Veröffentlichung zurückblicken, denn 2015 erschien das von ihrer letzten LP bekannte Stück "Sozialfall" auf dem 3. Bonn Sampler Beethovens Fluch. Auch die üblichen Bandaktivitäten gehen immer weiter. "Bis dato haben Rabatz in der neuen Periode über 30 Gigs in den alten Läden gespielt . Es hat sich nix verändert. Außer, dass wir ein paar Jährchen mehr drauf haben." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Nachtrag: Wenige Monate nach Erscheinen dieses Artikels lösten sich Rabatz überraschend auf. Über die Gründe sind mir nichts bekannt, aber jedenfalls bietet der Text einen guten Überblick über die Bandhistorie...