Zugaben (2)
In der ersten Hälfte des Jahres 1982 fand eine weitere Spaltung der Punkszene statt. Nicht wenige der Punks rasierten sich eine Glatze und wechselten ihre Lederjacke gegen eine Bomberjacke. Auslöser hierfür war die aus Großbritannien stammende und in Deutschland immer populärer werden OI!-Welle. Jene bestand aus einer Vielzahl und über das ganze Land verteilter junger Punkbands der zweiten oder dritten Generation, deren Musik recht einfacher, nur mittelschnell gespielter Punkrock mit fußballchorähnlichen Gesangparts war. Viele der Bands setzten sich aus Punks und Skinheads zusammen, wodurch letztere in Vergessenheit geratene Jugendbewegung der späten sechziger Jahre einen neuen Aufschwung erlebte.
Damals waren jene aus den sogenannten "Hard-Mods" entstandenen, setzten sich zum Großteil aus männlichen Jugendlichen aus der Arbeiterklasse zusammen. Das Markenzeichen der Skinheads waren ihre sehr kurz getragenen Haare (meist nur wenige Millimeter lang. Nur sehr wenige rasierten sich ihren Kopf völlig kahl), zudem eine mit Werftarbeiterstiefeln und Hosenträgern deutliche Betonung ihrer sozialen Herkunft aus den unteren sozialen Schichten, sowie eine mitunter deutliche Gewaltbereitschaft. Diese zeigte sich aber nicht in politischen Aktionen, sondern in den Fußballstadien des Landes. Dort traten Skinheads in größeren Gruppen auf und beteiligten sich an den Kämpfen und Schlägereien des aufkommenden Hooliganismus. In den Folgejahren verschwand die Skinheadbewegung allerdings in der Bedeutungslosigkeit und dieser Stil erlebte erst durch OI! eine Renaissance.
Gleichzeitig wurde von der Wortführern der OI!-Bewegung ein "United" von Punks und Skins propagiert, was für mich allerdings reines Wunschdenken war. Die Realität sah anders aus. Bereits seit Anfang 1980 wurde vom Sounds-Redakteur Garry Bushell OI! propagiert, er hatte bereits mehrere OI!-Sampler herausgebracht und deswegen waren Skinheads in England schon länger bekannt, größere Gruppen von ihnen besonders in London aktiv. Jene waren allerdings anders als ihr Vorgänger aus den sechziger Jahren, denn die vorher nicht eine rechtsradikale Jugendbewegung darstellenden Skinheads waren teilweise von politischen Organisationen wie "National Front" und "Britisch Movement" vereinnahmt worden und Skinheads galten nun als Vorzeigebeispiele für rechtsradikale Schläger. Zudem hatte sich ihre Oberbekleidungsmode dem neuen Image angepasst. Viele von ihnen pflegten nun wattierte Fliegerjacken amerikanischer Bomberpiloten zu tragen um breiter und furchterweckender zu wirken. Jedenfalls schlossen sich bundesweit viele Punks dieser neue Bewegung an, einerseits rechtskonservativ oder rechtsradikal denkende Alt- und Neupunks (als „Altpunks“ wurden jene Punks angesehen die schon vor dem Medienhype Ende 1980 der Punkszene angehört hatten), andererseits Altpunks denen die Entwicklungen des Vorjahres und das nun linksradikale Image des Punk stanken.
Aber noch ein weiterer Unterschied zu den Skinheads der sechziger Jahre war offensichtlich. Neben der manchmal propagierten Herkunft aus der Arbeiterklasse betonten sie ihre Herkunft aus ihrem Heimatland, hier natürlich als Deutsche. Nicht selten wurde mit inbrünstigen Stolz lautstark auf diese Tatsache hingewiesen, sie ebenso nicht selten mit körperlicher Gewalt gegenüber Andersdenkenden vertreten. Das konnte ich überhaupt nicht verstehen. Ersten lag (liegt) mit jegliches nationalistisches Denken fern, zweitens konnte (kann) ich nur Stolz auf eigene Leistungen empfinden, nicht auf irgendetwas das mir zufällig zugefallen war. Außerdem war (ist) es mir immer absolut egal wo jemand geboren wurde, ob in Deutschland oder woanders.
Das war zwar ein bundesweiter Trend, der sich aber in Bonn selbst in dieser Art nicht wiederholte. Hier waren keine Altpunks zu rechtsradikalen Skinheads geworden, und im Gegensatz zu anderen Städten bildete sich in Bonn eine größere Skinheadszene erst Jahre später. Zwar verschwanden wie bei vielen Jugendbewegungen üblich auch in Bonn ältere Szeneangehörige nach einiger Zeit von der Bildfläche, aber sie tauchten nur ins bürgerliche Leben ab.
Insgesamt begrüßte ich diese Spaltung, da dadurch viele Personen die noch im Vorjahr für meine wachsende Antipathie gegenüber der aktuellen Punkszene gesorgt hatten, die Szene nun verließen. Zwar sagten mir einige modische Aspekte der damaligen Skinheadbewegung durchaus zu und besonders deren deutlich gezeigte Fußballbegeisterung entsprach meinem Denken, aber besonders mit der favorisierten OI!-Musik konnte ich nichts anfangen. OI! war für mich eine musikalische Rückentwicklung, gerade in einer Zeit in der "Lauter, Schneller, Härter" oberster Maßstab jeglicher Punkmusik war. Ich bevorzugte sowieso den später "Hardcore" genannten Ami-Punk, da diese Musik meinem Geschmack voll entsprach. Das war nicht nur "Lauter, Schneller, Härter", sondern die Songs unterschieden sich durch Ideenreichtum und Spielwitz deutlich von dem oft recht primitiven OI!. Der war überhaupt nicht mein Fall.
Jene Entwicklung ist auch bei dem nachfolgenden Konzertbericht von Samson ein Thema, der in den Bonner Perspektiven #3 über das 1. Punkfestival in der Wuppertaler Börse am 1. Mai 1982 schrieb:
01.05.1982
Wuppertal Börse
Wir trafen uns am Bonner Hauptbahnhof um beim Wulf im Transporter mitzufahren. Wir warn dann ungefähr 15 Mann und ein Hund, in Köln kamen dann noch drei dazu und dann ab nach Wuppertal. Als wir in der Wuppertaler Börse ankamen gab es erst mal frohe Begrüßungen mit den BN-Punx die schon da waren. Die ganze Börse war total voller Punx (ca.1000) und einigen Skins (ca.20). Irgendwann fing dann so ne Gruppe an dessen Namen ich aber vergessen habe, die aber nicht schlecht war. Aber mit Pogo lief noch kaum was. Nach der Gruppe die ungefähr zwanzig Minuten spielte kamen dann auf die Bühne. aber zuerst ohne Tommi weil die ersten Stücke immer vom Rainer (Drums) gesungen werden. Als dann Tommi Travolta erschien und erst richtig loslegten wobei sich alle Bonner nicht halten konnten und den größten Teil der anderen Punx mitrissen = Pogo total. Durch diesen Auftritt von haben sie sich wohl endgültig qualifiziert (Alleine schon dadurch, dass sie Slime die Show geklaut hatten. Neulich rief nämlich der Kerl von Aggressive Rock beim Junk-Punk - Gitarrist von - an und meinte Slime hätten sich beschwert, dass ihnen die Show in Wuppertal geklaut hätten. Lächerlich! Wollen Slime jetzt Stars oder Punx sein?). Natürlich blieb der -Auftritt nicht ohne Auswirkungen, denn irgend so ein paar hirnlose Skins haben einem von uns ein paar mit nem Schlagring übergezogen. Natürlich sollte später noch ne Vendetta gestartet werden, die allerdings an dem unsolidarischen und verlogenen Verhalten der Punx gescheitert ist. Als dann fertig waren fingen dann Slime an zu spielen die auch direkt gut ankam en (ich verstehe echt nicht warum die sich ärgern). Slime spielten ein paar Sachen von der neuen LP, die auch im typischen Slimestil sind, doch der Höhepunkt ihres Auftritts waren wohl Deutschland, A.C.A.B., und Bullenschweine.Nach Slime kam dann die Wuppertaler Skin-Gruppe Die Alliierten auf die Bühne, die im Prinzip auch nicht schlecht war aber aus Hass von uns (BN-, NR- und K-Punx) beworfen und beschimpft wurden. Killerpralinen , die dann die letzte Gruppe waren habe ich kaum noch mitgekriegt, aber was ich so gesehen habe war schon äsch joot. Zwar wurde kaum noch gepogt, doch die Stücke (hauptsächlich die Bekannten) haben sie wirklich geil runtergefetzt. Bei der Gruppe hat sich also nur der Name geändert (Killerpralinen = Ex-Middle Class Fantasies). Noch während die Gruppe spielte wurde der Versuch einer Rache an den Skins gemacht, der aber daran scheiterte, dass die meisten zu faul waren hinter den Flüchtenden herzurennen. Naja! Gegen zwölf traten wir den Rückweg an, was wohl das coolste am ganzen Tag war. Dreiundzwanzig Leute, ein Panz noch in Maggies Bauch und nen Hund in nem Mercedes-Transporter. Als wir dann in Bonn ankamen war es gegen zwei und ich bin dann mit dem Klaus (den Skinheadgefolterten) nach Tannebüsch.
Von Anfang 1982 bis zum Spätsommer 1984 war es keine Seltenheit bei Punkkonzerten einzelne oder ganze Gruppen von Skinheads anzutreffen. Schließlich waren fast alle Skinheads dieser Zeit vorher Punks gewesen, mochten sie also ebenfalls noch Punkmusik, obwohl sie mit dieser politisierten Punkszene der frühen Achtziger nichts mehr anfangen konnten. (Labermeia: Diese musikalische Vorliebe hielt sich erstaunlich lange. Mitte der Neunziger war ich bei einem Konzert mehrerer antifaschistischer Skinheadbands, und als eine davon am Ende ihres Sets einen Song von Crass coverten und ich dazu Dutzende von Skinheads herumhüpfen sah und sie den Text mitgrölten war ich sehr erstaunt. Damit hatte in an diesem Ort absolut nicht gerechnet.) Oft kam es bei der Anwesenheit von Skinheadgruppen bei Punkkonzerten zu Provokationen der Skinheads, und manchmal wurden sogar einzelne Punks von den Skinheads verprügelt. Die "Ansage" von Slime auf der Live LP ihres Konzertes im Januar 1984 in Berlin entstand auch bei einem solchen Anlass (Interessant: In dem Buch Über Slime wird über diese Situation gesagt: "… Und bevor Dirk die Ansage machte, hatten Udo und Ronnie und andere Roadies der Band im Nebenraum Stühle zertrümmert und sich mit Holzknüppeln bewaffnet. Es war klar: Gleich knallt es. Das hat es dann aber nicht wirklich. Die Ansage und der Anblick von zwanzig Leuten, die sich mit Holzlatten und Eisenstangen um Dirk postierten, schlugen die Rechten in die Flucht. …". Also war es kein substanzloses Lippenbekenntnis sondern eine verbale Unterstreichung von Handlungsbereitschaft.) Erst nach den "Chaos-Tagen" im Spätsommer 1984 in Hannover endete die Phase der Anwesenheit glatzköpfiger Gruppen bei Punkkonzerten, da sich nach den dortigen Ereignissen beide Jugendgruppen deutlich polarisiert und weiter voneinander weg entwickelt hatten.
In der Wuppertaler Börse fand bereits am 16.6.82 ein weiteres Punkfestival mit den Bands Liebis, Stosstrupp, Bluttat und Hass statt. Darüber steht mir zwar kein Konzertbericht zur Verfügung, aber da Karl Nagel eine alte Videoaufnahme des Konzertes auf Youtube hochgeladen hat und dort ebenfalls eine Gruppe Skinheads negativ auffiel möchte ich den Link hier einfügen. Meiner Meinung nach ist das Video ein recht interessantes Zeitdokument
Als nächstes folgt dann ein Fanzineartikel über das erste -Konzert. Dieser Auftritt fand im Jahre 1983 in Bonn statt, und den Artikel schrieb ich damals für die vierte Ausgabe der Bonner Perspektiven.