Zugaben (5)

Nach der Schließung der Gaststätte Treibhaus wurde der zentral gelegene und vorher nur sporadisch als Treffpunkt genutzte Kaiserplatz zum fast täglich genutzten Aufenthaltsort vieler Punks. (Labermeia: In jener Zeit war ich einmal durchgehend von Freitagabend bis Sonntagabend dort, schlief nachts im benachbarten Hofgarten.) Meistens hielten wir uns immer am KaiserplatzbrunnenFoto Kaiserplatzbrunnen auf. Dort konnten viele Leute auf der steinernen Umrandung sitzen, das beständige Rauschen des Brunnenwassers und des Straßenverkehrs auf einer naheliegenden Hauptverkehrsader bildete ein angenehmes Hintergrundgeräusch und es gab immer etwas zu schauen, viel mehr als am früher besuchten Berliner Platz Foto Berliner Platz. Am besten war die mehrfach mögliche und leichte und Versorgung mit "Knallwasser" oder "Quasselstoff" genannten Bier. Dafür sorgte unter anderem die praktisch um die Ecke liegende Fußgängerzone mit deren großen Kaufhäusern. Favorit aller Punks und sonstigen am Kaiserplatz quasi beheimateten Menschen aber war Nadas als herkömmliche Frittenschmiede getarnte Bierbude Foto Nadas Bierbude am Kaiserplatz selbst. Jene unterschied sich merklich von ähnlichen Etablissements. Dort jemanden zu sehen der tatsächlich etwas Essbares erwarb war eine Seltenheit. Stattdessen wurde dort hauptsächlich und fast ständig Bier verkauft, waren stets zwei fast mannshohe Kühlschränke ausschließlich mit gekühlten Bierflaschen gefüllt. Angesichts der trinkfreudigen Laufkundschaft war eine derartige geschäftliche Reaktion verständlich. Ein Musterbeispiel für "Nachfrage bestimmt das Angebot". (Labermeia: Bei manchen war mit der Aussprache des Bandnamens G.B.H. nicht jene Gruppe gemeint, sondern die Aufforderung: "Geh Bier Holen!", und dieses Bild: Foto Punkfrauen auf Wippe zeigt eine damals mehrmals gesehene Szene. Jaja, der Allohol...)
Nach einiger Zeit sorgte die lauschige Bedröhnungsidylle im Herzen der Stadt für Unmut in der Bürgerszene. Am Kaiserplatz beheimatete Geschäftsleute gründeten gar eine Bürgerinitiative, sorgten mit öffentlichen Forderungen und Presseartikeln für Handlungsdruck bei den Stadtoberhäuptern. Deren Forderungen wurden zwar größtenteils umgesetzt, aber die erhoffte Wirkung des Vertreibens der Punks vom Kaiserplatz blieb aus. Zwar sank durch die demontierten Sitzbänke der Aufenthaltskomfort ein wenig und die stets gegenwärtige Polizei nervte etwas durch gestiegene Aufdringlichkeit, aber der große Brunnen und Nadas Bierbude konnten nicht abmontiert werden. So blieben die beiden größten Attraktivitätsmerkmale des Kaiserplatzes erhalten. Jedenfalls für uns Punks. Lediglich die Junkies verlagerten aufgrund der erhöhten Polizeipräsenz ihre Handelsaktivitäten in den nahen Hofgarten. Aber die Bürgerinitiative schreckte auch vor unorthodoxen Vorgehensweisen nicht zurück. Im Sommer 1984 engagierten sie eine Rockergang um die Punks durch kinetische Argumentation von einem Fortbleiben zu überzeugen. (Labermeia: Dies ist keine Behauptung, sondern eine Tatsache, denn viele Jahre später erzählte mir ein befreundeter Rocker eines Siegburger Motorradclubs, dass sie damals von der Bonner Bürgerinitiative angesprochen wurden. Sie hatte gefragt ob die Rocker für die Zahlung einer Geldsumme die Punks am Kaiserplatz gründlich verprügeln würden. Die Siegburger Rockergruppe hatte aber keine Lust auf solche Aktionen gehabt und deshalb abgelehnt.) Diese Aktion war allerdings ein Reinfall. Am "Überzeugungstag" zählten die Rocker nur ungefähr ein halbes Dutzend Köpfe während knapp 30-40 Punks am Brunnen saßen. Stundenlang standen die Rocker einige hundert Meter weit von uns entfernt am Fuße des Kaiserplatzes und wagten sich nicht näher heran. Logisch, hätten sie versucht ihre versprochene Gegenleistung zu erbringen, wäre wohl … ähh … energischer Widerspruch der Punks sehr wahrscheinlich gewesen. Schließlich zogen sie ab, und wie um verzweifelt zu versuchen ihren Wert wenigstens ein bisschen zu beweisen schlugen sie fernab des Sichtfeldes der Punks ein 15jähriges Punkmädel zusammen. "Tolle" Aktion!
Im September des ereignisreichen Jahres 1984 wurde der Kaiserplatz doch noch zur "punkfreien" Zone. Jedenfalls für einige Tage. Mit polizeilicher Duldung stürmte ein halbe Hundertschaft militanter Neonazischläger unter Führung der Dortmunder Hooligantruppe Borussenfront den Treffpunkt, schlug die Punks zusammen und sorgte für einige Krankenhausaufenthalte. Eine nachhaltige Wirkung erzielte die Gewaltdemonstration der Neonazis aber nicht. Die Erinnerung verblasste rasch, die Verletzten genasen und wenige Wochen später war alles so wie vorher. So ging es dann einige Jahre weiter…

Bonner Hartchöre Kaiserplatzlied Songs Bonner Hartchöre 1988

"Und wenn sie nicht gestorben sind, dann saufen sie noch heute…" würde ein fabulierender Erzähler diese Geschichte beenden, aber die Realität ist leider eine andere. Gegen Ende der achtziger Jahre schloss Nadas Bierbude und auch die Zahl der am Brunnen sitzenden Punks sank deutlich herab. Das lag hauptsächlich an den sich voneinander weg entwickelten Lebenswegen der früheren Akteure. In den neunziger Jahren erlebte die Anwesenheit von Punks am Kaiserplatz zwar eine Renaissance, aber jene gehörten einer anderen Generation an und somit ist es eine andere Geschichte.

Den Abschluss dieser kleinen Serie mit Artikeln aus frühen Bonner Punkfanzines bildet ein in der fünften (und dann letzten) Ausgabe der Bonner Perspektiven erschienener Bericht über die Chaos-Tage 1984 in Hannover. Über dieses Treffen ist bereits recht viel geschrieben worden. Warum also eine weitere Schilderung des Geschehens? Nun, da die meisten der heutzutage verfügbaren Artikel aus der Erinnerung und viele Jahre nach diesem Tag geschrieben wurden, besteht die Gefahr, dass die damaligen Ereignisse im Gedächtnis verklärend dargestellt werden. Also ist es von Vorteil einen wenige Wochen später erschienenen Fanzineartikel darüber zu lesen. Bei einer solchen Schilderung ist eine vielleicht ereignisverzerrende Erinnerung praktisch ausgeschlossen. Außerdem besitzt dieser zweiteilige Bericht einen besonderen Reiz. Zuerst schildert Samson seine Erlebnisse aus einer etwas größeren Distanz, dem dann ein Artikel von Kerstin folgt welcher ein einzelnes Ereignis detaillierter erzählt. Gerade dieser ist recht witzig wenn man die Bonner Protagonisten damals persönlich kannte.
    Zur Geschichte der Chaos-Tage: Am 18.12.1982 kam es in Hannover zu einer gemeinsamen Protestaktion von Punks und Skins gegen eine verallgemeinernde Polizeikartei, in der alle in einen Topf geworfen wurden und jeder Jugendliche dessen äußeres Erscheinungsbild von der Norm abwich als "Punker" eingestuft und registriert wurde. (Labermeia: Die Nachricht über die in Hannover geplanten Protestveranstaltung wurde in der deutschen Punkszene erstaunlich stark verbreitet. Wie sehr zeigt ein kleines Beispiel: Zwei Tage vor dem "Punkerkartei"-Protest rief Jello Biafra bei einem Konzert der im nahe Bonn gelegenen Bad Honnef zu einer Teilnahme auf. (Dort war ich leider auch nicht. Wie schon gesagt waren die Jahre 82/83 in Bezug auf Aktivitäten meine schlechtesten.) Davon gibt es sogar einen Audiolink. Den Inhalt kann ich leider nicht mehr überprüfen, aber ich gehe von dessen Richtigkeit aus und füge ihn einfach hier ein. Ist halt auch ein zum Thema passendes Zeitdokument.) Als Punks eingestuft zu werden schmeckte den Skinheads natürlich nicht und deshalb fanden sie sich ebenfalls beim Protest gegen die Datensammelwut der Ordnungsbehörde ein. In einer Zeit in der sich die entwickelnde Skinheadszene von der Punkszene zu distanzieren begann und die politischen Gegensätze immer deutlicher wurden, war dieses Aufeinandertreffen eine Besonderheit, denn diesmal gab es keine nennenswerten Auseinandersetzungen zwischen Punks und Skins. Einige Hannoveraner Punks fühlten sich durch die Erlebnisse dazu animiert für das Folgejahr zu einem bundesweiten Treffen von Punks und Skins unter dem Motto "Chaos-Tage" aufzurufen. Dieses stieß auf großes Interesse, fast tausend Punks und einige hundert Skinheads kamen nach Hannover und bevölkerten die Innenstadt. Zuerst blieb es zwischen beiden Gruppen recht friedlich, bis dann einige Dutzend Nazi-Skinheads aus Hamburg und anderen Städten ankamen und für Schlägereien mit Punks und befreundeten Menschen sorgten. Die Nichtnazi-Skinheads solidarisierten sich mit den Armschwenkern gegen die Punks und die beginnende Spaltung verstärkte sich noch. Allerdings waren die "Chaos-Tage" 1983 aus Sicht der initiierenden Punks trotzdem ein Erfolg (jedenfalls wenn man den Aspekt "Punks und Skins united" ausblendet), denn die überforderte Polizei bekam die Massen der die Innenstadt bevölkerten Punks nicht in den Griff, herrschte teilweise wirklich "Chaos". Folglich wurde auch für das Jahr 1984 zu einem "Chaos-Tag" aufgerufen, allerdings diesmal ohne einen Zusammenschluss von Punks und Skins bewirken zu wollen. Letztere hatten sich mittlerweile sehr stark von den Punks distanziert, und Gewalt und rechtsradikale Parolen bestimmten inzwischen ihr nach außen vermitteltes Bild. Natürlich hatten letztere auch von den "Chaos-Tagen" erfahren und besonders gewaltsuchende und rechtsradikale Skinheads reisten ebenfalls nach Hannover…
    Die Ereignisse von damals kenne ich selbst nur aus Erzählungen oder nur aus gelesenen Berichten, da ich wie für dieses Jahr typisch auch damals nicht in Hannover war. Dabei wusste ich wirklich früh genug Bescheid über die Chaos-Tage 83, denn einige Wochen vorher hatte ich Aufrufflugis von den Hannoveraner Punks zugeschickt bekommen und diese zielgruppenorientiert im Treibhaus verteilt. Leider besitze ich kein Exemplar mehr davon, aber meiner Erinnerung nach waren es solche: Flyer Chaos-Tage 1983. Wer Bilder der Geschehnisse sehen möchte (bewegt oder unbewegt), sollte entweder bei Youtube schauen oder sich den entsprechenden Ordner auf Punkfoto (Bilder Chaos-Tage 1983) ansehen.
   Zu den 84ger Chaos-Tagen fuhren dann fast alle Bonner Punks nach Hannover. Wie gesagt "fast alle", denn einige wenige zogen es vor in Bonn zu bleiben. Meiner einer natürlich auch. Mal wieder war ich aus irgendwelchen Gründen nicht dabei gewesen. Stattdessen saßen wir wie jedes Wochenende am Kaiserplatz, waren aber statt der sonst mehrere Dutzend Punks lediglich fünf oder sechs Leute. Mitunter war es eine sehr komische Atmosphäre, besonders wenn man sich vor Augen führte, dass zurzeit gerade praktisch alle Bonner Punks mit hunderten anderer Punks durch Hannover zogen und sich vergnügten.

  Nun gut, genug der einführenden Worte und der reumütigen Erinnerungen und lassen wir Samson von seinen Erlebnissen dort berichten:


Tja, Leute, was soll man da schon anderes sagen, als dass es echt geil war. Auf diesem Treff wurden ja noch mehr Leute erwartet als auf dem im letzten Jahr, wo ich leider nicht zugegen sein konnte, weil ich in unserer Nachbarstadt Köln im Stollwerk versumpft war. Also durfte ich diesmal nicht fehlen. Ich fuhr mit Kerstin mit der Mitfahrzentrale Freitagnachmittags gen Hannover. Als wir dann so gegen sieben Uhr mitteleuropäischer Zeitrechnung ankamen wurden wir er erstmal von nem Bündel Schnittlauch gefiIzt und unser CS-Gas eingesackt, die drei Bastarde. Wie wir dann am Opernplatz ankamen warnschon so ca. tausend Punkers anwesend und es gab ein freudiges Wiedersehen mit vielen alten Bekannten. Man brachte auch zu meinem Ärgernis in Erfahrung, dass erstens das Konzert in Bielefeld nicht ausgefallen sei und ich somit Disorder verpasst habe, und dass zweitens ich jetzt keinen Bericht mehr darüber schreiben kann. Irgendwann sollte dann die erste Aktion laufen; Mann/Frau wollte die Backwahn-Disco stürmen (wehe euch wenn ihr den Backwahn bekommt, dann backt ihr - ob ihr wollt oder nicht - von morgens bis abends nur Brötchen). Grölend und schreiend lief alles durch die Pastorale. Dann gab's Action mit Bullen. Auslöser dafür war wahrscheinlich ein Bulle der gerade auf einem Punk hockte um ihn später mitzunehmen. Doch da sprang heroisch ein Pönkröcker aus der klimpernden Menge und hüpfte dem Grünling just mit beiden Stiefeln ins Kreuz, wat die anderen Cops dazu veranlasste uns für die nächste Stunde durch die Innenstadt zu jagen. Dabei traf ich Budginski (hallo alter Suffkopp) vom Berliner "Fitmacher" mit seiner Alten und wir marschierten dann mit n paar anderen Leuten zum Bahnhof und von dort mit nem großen Pulk Punx in die Glocksee wo auch schon jede Menge Panker warn. Nun, da man Ruhe hatte und eine Bullenhitze herrschte, suchten wir erstmal ne Bierbude, weil die Kehle meiner selbst sich anfühlte wie Schmirgelpapier. Ab da pendelte man nur noch zwischen Bierbude und Wiese, auf der wir (Olaf, Kerstin, Volker, ich etc.) auch beschlossen zu pennen, nur fing es so gegen 12 Uhr total an zu sicken. Nach totalem Chaos und hin und her, fanden wir dann einen Pennplatz aufm Dachboden. Staub total!! (hust, hust). Naja, war imma noch besser als in der ätzenden Halle. Allerdings konnte ich trotz meines Abgefülltseins nicht des Baldigen einschlafen, da so ein trotteliger Bayer namens Tarzan uns die Ohren mit seiner grässlichen Eunuchenlache vollplärrte, abba diese Geschichte ist ja in Kerstins Bericht über diese Nacht ausführlich zu lesen.

Am nächsten Morgen wurden der Volker und ich von son paar rumkrakelenden Ätz-Votzen aus dem himmlischen Schlummer gerissen und bemerkten, dass die zwei anderen verschwunden warn. Nun gut. Erstmal fertig machen, und raus hier. Vor der Tür traf man dann auch noch andere Bonner und man beschloss erstmal was zu futtern und zu saufen (nein, kein Bier) zu holen. Milch Machts!!!!!!! Dann sind wir mit der Bahn in den Bahnhof und haben erstmal die Bild-Zeitung gekauft. Die Oma in dem Kiosk war wohl seltsam drauf und meinte, dass sich jetzt die ganzen Panka die Bild kaufen und die Bild-Leser keine mehr abkriegen würden und war sich dabei fast nen Abgang am holen. Dann ging's mit nem riesen Haufen zum Opernplatz, wo auch nochmal ungefähr so viel Pankas waren. Insgesamt warn wir dann so gut über 2000 Leute. Auch ne Menge Freaks und Türken waren da, die wegen den Nazis gekommen waren. Außerdem war da auch noch nen Demo-Wagen, der die ganze Zeit Discharge und Motörhead laufen ließ. Zwischendurch machte die "Demoleitung" Durchsagen und Aufrufe. Nachmittags ging dann die Demo los. Die Bullen wollten uns erst nicht durchlassen, abba nach tausendmaliger Aufforderung durch den Demo-Wagen ging der Zug weiter. Als die Demo an dem bestimmten Platz (Name vergessen) wo die Nazis rum hingen vorbeiging, flogen Steine und Flaschen (wie immer über die Bullen hinweg) auf die Nazis. Als dann die Bullen anfingen zu knüppeln gab's erstmal die riesen Panik. Dann tauchten inner Seitenstraße die Faschos auf, worauf ihnen ein Steinhagel entgegen schoss, worauf hin wieder die übliche Bullenprügel-Panik entstand. Als sich dann alles beruhigt hatte verlief der Demozug bis zur Glocksee ohne Zwischenfälle. Dort angekommen sind wir dann erstmal was fressen und Bier holen. Als wir zurückkamen war die totale Randale in Gange. Die Punx wurden von einem Kerl mit ner Trommel voll angeheizt, so dass das totale Chaos entstand und die Grünen wieder zeigten was für Ärsche sie doch sind. Als die Cops dann endlich weg warn fing das Konzert endlich an. Als erstes spielten die Band Alte Kameraden Hannover-Punk 78-84 - Sampler CD. Das beste Stück war meiner Meinung nach "Hauptsache die Haare stehen". Danach spielten die Punkfoto Musik Abstürzende Brieftauben und Punkfoto  Musik Boskops. Einige Leute bauten Barrikaden, weil irgendwelche Nazis im Anmarsch seien. Ich fuhr mit nen paar Leuten zum Bahnhof um meine Klamotten aus dem Schließfach zu holen. Als wir dann zurückkamen war eine bürgerkriegsähnliche Schlacht in Gange. Die Bullen hielten mich auf der Brücke fest. Und so zog ich mir das Schauspiel von der Brücke aus rein. Soweit ich das mitkriegte stand ne Barrikade in Flammen. Mollies, Steine und Flaschen flogen in Massen aus der Glocksee und die Bullen antworteten mit Gasbomben und dem Wasserwerfer, der in vollem Einsatz war. Wie alles noch voll in Gange war, legte ich mich bei nen paar BO-Punx ins Auto um zu knacken.

Als ich dann so gegen 10 Uhr wieder aufwachte waren fast nur noch Bullenwannen zu sehen und die Bullen waren gerade dabei die Punx, die sie die Nacht über im Innenhof eingekreist hatten herauszulassen. Dann fuhr ich mit den BO-Punx in die Korn, doch da war alles total verrammelt (mit Natodraht und so) weil Angst vor Nazis. Nach dem Frühstück (Fritten) sind wir zum Bahnhof; nur Glatzen, nix los. Zurück zur Glocksee und auf das Open-Air-Konzert wo Rotzkotz 1. LP spielen sollten. Als wir ankamen, kamen uns gerade 10 Bullen mit etwa 30 der Punkers entgegen. Man ärgerte sich schon allgemein wieder wie dämlich sich doch die Bullen wieder anstellen, doch siehe da, keine Verhaftung, sondern Schutzbegleitung um einen Kasten Bier zu holen (echt wahr Leute) weil überall Skins lauern würden. Nun gut, hatte ich natürlich wieder mal verpasst und bin dann mit der Kerstin in die Stadt um unser Auto gen Bonn zu erwischen. Und das war es dann mal wieder.

Nachdem Samson die Ereignisse des Wochenendes in einem subjektiven Bericht zusammenfasst hat, nun der Artikel von Kerstin, die ein einzelnes und amüsantes Erlebnis am Freitagabend detailliert schildert:

WENN DIE BAYERN MAL NACH DEUTSCHLAND KOMMEN !!


Es begab sich zu der Zeit als sich einige Punks anschickten einige sogenannte Chaostage in Hannover zu organisieren. Gesagt - Getan. Diese Nachricht drang (welch Wunder) auch bis nach Bayern (genauer gesagt bis nach Hof) vor. Nunja, kurz gesagt das Übel war geschehen - die Bazis machten sich auf nach Hannover. Und somit war es passiert, das große Unglück kam über uns – mit uns die Unglückseeligen die am Freitag dem 3.8.1984 auf dem Speicher der Glocksee gepennt haben.    Und das kam alles so: Nachdem es am Freitag in Hannover doch sehr feuchtfröhlich zugegangen war und diverse Bonner Pönks sich auf der Wiese vor der Glocksee niedergelassen hatten, um unter anderem Sackhüpfen zu machen … fing es an zu regnen. Was tun?? Nun, nach langen Diskussionen begab man sich (wenn auch schon leicht wankend) in die sich auf dem Gelände befindliche Halle. Dort wimmelte es nur so von bunten, wankenden und grölenden Pönks. Endlich hatte man ein Plätzchen gefunden von dem man sich erhoffte seinen Rausch in Ruhe ausschlafen zu können. Doch das dachte man sich nur – denn der Regen welcher da lieblich vom Himmel herunter prasselte war ein ganz arglistiger und drang durch irgendwelche Ritzen und Fugen in das Gemäuer ein, so dass man jetzt von innen wie von außen feucht war. Es gab nur eine Möglichkeit - sich ein nettes, ruhiges Örtchen zu suchen an dem man sich endlich zur Ruhe begeben konnte. Doch nachdem wir tausende Pönks beim vögeln oder saufen gestört hatten gaben wir die Hoffnung auf ein solches Plätzchen auf.
   Der Regen ließ nach – und mit ihm auch der Nebel in meinem Kopf, welcher mich seit dem späten Nachmittag umgab. Und somit erinnerte ich mich an besagten Speicher, welcher sich logischerweise auf dem JUZE befand. Also Sachen gepackt und nichts wie hin zu dem Teil! Vor dem Eingang der Glocksee passierte es dann und wir stießen auf die - Bayern. Nach langen Diskussionen (Danke Olaf) war es endlich so weit, die Autonomen ließen die Bonner/Bayernfront Einzug halten auf ihrem Speicher. Nach einem beschwerlichen Aufstieg (sage und schreibe fünf Treppen) machte man sich daran endlich den langersehnten Schlaf anzutreten.
   Doch man hatte sich zu früh gefreut. Nachdem sich die Bayern erst einmal niedergelassen hatten und sich richtig mit den Räumlichkeiten vertraut gemacht hatten (Dreck, Moder, Siff, Staub), fühlten sich die Buben gleich heimisch und wurden auch sogleich sehr munter. Zur Belustigung aller – außer Samson, denn der schlief schon längst und bekam so weder die lustige Modenschau mit die der Bayer zum Besten gab noch sonst irgendwelche lustigen Aktionen. Also – wie gesagt-, die Bayern fühlten sich heimischer denn je und der bayrische Tarzan führte seine Unterwäsche vor, was zu Folge hatte, dass alle möglichen Leute anfingen sich zu entkleiden um sich gegenseitig ihre Unterwäsche vorzuführen.
   In der Zwischenzeit war die Zahl der Leute die vorhatten auf dem Speicher zu nächtigen von sechs auf sechszehn angestiegen. Während einige Leute bemüht waren den Neuankömmlingen auf direkte Weise klar zu machen wie sie sich zu verhalten hätten (zum Beispiel: "Halt datt doffe Maul sunst schlog ich dir die Zänn!"), entdeckte Tarzan – einsam wie er nun einmal war in seinem Schlafsack, dass er fähig war eine so widerliche Lache auf die Reihe zu bringen, dass einem dabei Hören und Sehen vergehen konnte. Leider bin ich nicht fähig diese Lache zu beschreiben, es hörte sich ungefähr so an als ob man einen Eunuchen/Oinuchen kitzeln würde. Ich meine die ersten paar Minuten war diese Lache ja noch ganz lustig – aber nach einer halben Stunde bekam man doch ein leichtes Ohrensausen, und ein Unwohlsein in der Magengegend machte sich bemerkbar. Doch es kam noch schlimmer, denn ein anderer Bayer namens Harry sah seinen guten Namen als guter Bayer aufgrund Tarzans Lache besuldet und fing auch sogleich seinerseits an zu jodeln.
   Trotz dieses Katzenjammers ließen sich die Leute nicht davon abhalten weiterhin den Speicher zu besetzen. Und so waren es mittlerweile rund dreißig Leute die im Dreck suhlten. Nachdem Mann/Frau den Bayern dank einiger Krümel Tabak das Mundwerk gestopft hatte kehrte für einige Minuten Ruhe ein. (Wenn man von Volkers Foto von Volker unqualifizierten Äußerungen über meinen Revuekörper absieht – aber Rache ist die blutende Nase). Nachdem man also seinen letzten Tabak geopfert hatte um den Bayern das Mundwerk zu stopfen wollten dieser aber erst einmal die Frage klären woher wir denn überhaupt seien:
"Ja mei, wo seits denn ihr überhaupt her?"
"Aus Bonn und Köln."
"Na, denn kennst ihr ja bestimmt ach Canalterror?"
"Ja, entfernt."

   Jedenfalls machte der Bayer mit Hilfe einer Kerze Licht, während sich Volker immer tiefer in seinen Schlafsack zurückzog. Er holte eine etwas zerfetzte, nach Punkmanier gestylte Lederjacke hervor, auf welcher groß und deutlich zu lesen war. Volker war sichtlich am Ende und wir konnten es uns nicht verkneifen dem Bayer klar zu machen, dass Volker zum Canalterrorclan gehört. Die Freude des Bayern wir sichtlich groß, er strahlte über alle vier Backen. Während Volker nur noch ein "Wenn ich euch morgen früh zu fassen kriege…" über die Lippen brachte, verfiel der Bazi in einen Redeschwall. "Na, lass dir ma schauen. Aa, freilie di hast doch sonst a blonde Hoor. Ja,mei, jetzt erkenn i die a wieder. Jo, ihr misst schauen, dass ihr halt ach mal bei uns in Hof spuelt (kommt nicht von "spülen" sondern von "spielen"). In Hof is scho saugrad, mir ham halt ach e an Hofbräuhaus. Und wenns kommt dann gehen ma mal Weißwürschtel essen. Geh, werdst doch schauen das ihr mal nunter kommt…"
   So könnte ich noch einige Blätter mit dem Gesülze des Bazis füllen. Aber das möchte ich nun doch allen Lesern ersparen, auch wenn ich noch einen Satz des Bayern hier zu Papier bringen möchte. Als der Bayer sich einigermaßen beruhigt hatte und so langsam am einschlafen war, richtete er sich noch einmal auf und säuselte durch den Raum in Richtung Volker: "Ja mei, Volker, ii bin ja sooo stolz auf die!" Darauf richtete sich Volker auf, nahm einen Ständer vom Schlagzeug in die Hand, schaute in die Richtung des Bazis: "Wenn du nicht sofort Ruhe gibst, dann schlag ich dir das Teil über die Rübe!" Danach verschwand er mit hochroten Kopf in seinem Schlafsack und wart bis zum nächsten Morgen nicht mehr zu sehen, höchstens noch zu hören.
   Nachdem sich unsereins noch köstlich über die Äußerungen des Bazis amüsierte, war die Zahl der Leute auf locker vierzig herangewachsen, Bayern, Deutsche, Engländer, Finnen, Franzosen usw. Und so konnte man beim Einschlafen aus allen möglichen Ecken vernehmen:
"I ´m so proud of you, Volker!"
"Je suis tellement fière de toi, Volker!"
"Olen niin ylpeä sinusta, Volker!"

Ja, dann bleibt mir nur noch ein verträumtes "Servus. Machts gurt".

Bilder von den Chaos-Tagen 1984 besitze ich keine, aber auf Punkfoto kann man sich sehr viele anschauen. Wer möchte sollte also diesen Link anklicken: Bilder Chaos-Tage 1984


Die Ereignisse bei den "Chaos-Tagen" sorgten nicht nur für ein erlebnisreiches Wochenende vieler. Schon schnell entpuppten sich als ein zum endgültigen Niedergang der frühachtziger Punkszene führendes Ereignis. Außerdem hatten sich die Punk- und die Skinheadszene durch die medial verbreiteten Bilder und Berichte nun endgültig voneinander entfernt, gehörten Gruppen von Skinheads die Punkkonzerte besuchten ab diesen Tag der Vergangenheit an. So betrachtete nun fast jeder Punk oder Skin ein Mitglied der anderen Gruppierung automatisch als einen "Feind" den es zu bekämpfen galt. Das war aber eher eine logische Folge der Entwicklung in den letzten Jahren als ein überraschendes Ereignis.
   Auch die Punkszene selbst teilte sich wieder. Für viele der vorher kreativ tätigen Menschen (Musiker, Konzertorganisatoren, Fanzineschreiber usw.) waren die "Chaos-Tage 84" nichts weiter als ein riesiges Alkoholikertreffen gewesen, bei dem die Destruktivität der Punks des Jahres 1984 mit der Zerstörung des Jugendzentrums Glocksee einen neuen Höhepunkt erreicht hatte. Selbstzerstörung, grenzenloser Alkoholkonsum und die stets vorhandene Neigung zu wahllosen Sachbeschädigungen bestimmten mittlerweile das Bild der Punks. Die früher in der Punkszene weit verbreitete Kreativität der Einzelnen spielte nur noch eine Nebenrolle oder war gar völlig verschwunden. In der Regel beschränkte sich Punks nur noch aufs Ersinnen neuer Lederjackenaufschriften und der Beschaffung von Alkohol. Damit wollten nicht wenige die Zeit und Energie für die Schaffung eines kulturellen Rahmens aufwendeten nichts zu tun haben. Verständlich, wer wollte zu Beispiel noch mitunter monatelange Vorarbeit zur Organisation eines Konzertes aufwenden, wenn das Endergebnis nur die Hintergrundmusik für ein Besäufnis selbstzerstörerischer Jugendlicher werden würde und zudem die ständige Gefahr einer Zerstörung von Equipment und Konzertort wie ein Damoklesschwert über den Organisatoren schwebte? Folglich wandten sich viele von der herkömmlichen Punkszene ab und der sich bildeten Hardcoreszene zu, in der Musik und Outfit der US-amerikanischen Hardcorepunks tragendes Leitbild war (beeindruckende Bilder zeigt diese Filmdokumentation Trailer American Hardcore. Es ist schon erstaunlich wie sehr sich die Szenerie von jenen Ereignissen unterschied die zeitgleich in den mitteleuropäischen Punkszenen stattfanden). Aber nicht nur die Musik jener Bands favorisierten die frühen deutschen Hardcorepunks, sondern sie übernahmen auch das Aussehen ihrer amerikanischen Vorbilder und propagierten deren Ideen wie Think Positive oder Straight Egde. "Punk ohne Dreck und Müll" war eine in Fanzines oft gelesene Parole jener Zeit. Diesen Dingen konnte ich bis auf dem ritualisierten Abstinenzlertum des Straight Egde durchaus einiges abgewinnen, riefen doch die inzwischen zum Hauptinhalt gewordenen negativen Aspekte schon länger meinen Unwillen hervor. Die herkömmliche und kulturell an englischen Vorbildern orientierte Punkszene versank in den Folgejahren in Selbstzerstörung, Alkoholismus und Bedeutungslosigkeit, offenbarte sich höchstens noch in harmlosen Fun-Punk. Ende der achtziger Jahre waren dann die meisten der früheren Akteure derer verschwunden und einige Zeit später bestimmte eine neue, an Selbstzerstörung nicht interessierte Generation von Punks die Szenerie…
  Bei mir selbst vollzog sich ebenfalls diese Wandlung. Allerdings beruhte sie nicht auf einem Schlüsselerlebnis wie den "Chaos-Tagen 1984", sondern hatte eher praktische Gründe. Durch Zufall besuchte ich den Club 81 im benachbarten Troisdorf, Stammtreffpunkt der wenigen Troisdorfer Punks. Der Laden gefiel mir, war eine Mischung aus Kellerdisco und -kneipe, sehr klein und leicht zu erreichen. Außerdem bevorzugten die dortigen Punks genau so wie ich die später Hardcore genannte harte und schnelle Punkmusik, waren aber ansonsten im Gegensatz zur frühen Hardcoreszene dem Alkoholkonsum und sonstigen Späßen gelinde gesagt nicht abgeneigt. (Labermeia: Wir nannten uns Troisdorfer Sauf Haufen und scheuten keine Mühen um dieser Bezeichnung gerecht zu werden.) Das fand ich optimal, "Punk ohne Dreck und Müll", aber mit viel Bier, und im Hintergrund lief schnelle "Mucke". Also fuhr ich nun fast jeden zweiten Tag kosten- und zeitsparend mit dem Fahrrad nach Troisdorf anstatt wie vorher mehrmals die Woche mit Bus und Bahn gen Bonn zu reisen. Eine neue Phase in meinem Leben begann, und schon Ende 1985 spielte ich wieder in einer Band und brachte ein Fanzine heraus, verkaufte an unserem Treffpunkt Punk- und Hardcorefanzines sowie erste deutsche Hardcoreplatten. Aber das sind andere Geschichten...

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