Ein kleiner Nachtrag

Ende 2014 schrieb ich einen Beitrag über den Trailer des Films „Punk in Bonn“ von Moe-Rang Utan für meinen inzwischen wieder eingestellten Blog. Er entstand zwar Monate bevor ich die Idee zur Wiederveröffentlichung der alten Fanzinetexte hatte, aber ich setze ihn trotzdem ans Ende dieses Artikelblocks, da einige der erwähnten Punks dort zu sehen sind oder als gealterte Personen interviewt werden. Dieser Film erzählt die Geschichte jener, enthält neben alten Filmaufnahmen hauptsächlich Interviews mit ehemaligen/noch aktiven Punks der achtziger und neunziger Jahre. Viele der interviewten Leute kannte ich von früher (schöne Grüße an die „alten Köppe“ vom Berliner- und Kaiserplatz), einige hatte ich schon vor meiner Erkrankung jahrzehntelang nicht gesehen. Soooo gerne hätte ich gehört, was die alten Bekannten alles zu erzählen hatten, aber ohne die Fähigkeit das Gesagte hören zu können, sind Interviewfilme gerade nicht sehr prickelnd und bleiben ein hochgradig unvollständiger Genuss. Nun gut, diese Erfahrung machte ich in den letzten Jahren schon öfter, das war nun wirklich nichts Neues mehr für mich, aber trotzdem ärgerte ich mich in diesem Moment so stark wie noch nie über die Folgen meiner Erkrankung.
    Besonders unangenehm machte sich jene Empfindung bemerkbar, als ich mich in einer kurzen Interviewsequenz sogar selbst sehen konnte. An den Tag, an dem diese höchstwahrscheinlich aufgenommen wurde, erinnere ich mich noch (APPD-Stand auf dem Bonner Münsterplatz 1998), aber an die Tatsache, dort vor einer Kamera gestanden zu haben, nicht mehr. Auch konnte ich nicht sagen, was ich in den wenigen Sekunden von mir gebe, aber höchstwahrscheinlich habe ich nur so manchen Bullshit gelabert, denn an diesem Tag nutzte ich äußerst intensiv die von der Partei zur Verfügung gestellten kostenlosen Wahlkampfpropagandamittel (Dosenbier).

   Wer sich den Trailer anschauen möchte:

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Auch im eingebetteten Trailer bin ich kurz auf einem eingeblendeten Foto zu erkennen. Das entstand ebenfalls auf dem Münsterplatz, aber vierzehn Jahre vor meiner parteipolitischen Aktivitätsphase, also 1984. Damals trafen wir uns in der Regel zwar immer am Kaiserplatz, aber manchmal auch am Beethovendenkmal auf dem Münsterplatz. Dort wurden wir sehr oft fotografiert, meistens von Horden sensationsgeiler Touristen, die sich freuten einen unerwarteten Aspekt der damaligen deutschen Hauptstadt auf Zelluloid bannen zu können. Anscheinend waren auch Journalisten darunter, die unsere Abbilder in irgendwelchen Zeitschriften veröffentlichten. So auch dieses Bild, das eines Tages in einer Bonn-Sonderausgabe des bekannten Magazins „Geo“ erschien. Das hatte damals einige unangenehme Folgen für mich.
Bild aus der GEOZu jener Zeit befand ich mich in der Ausbildung zum „Industrie-Keramiker“ und arbeitete in einer Fabrik. Irgendwann kam ein Angestellter zu mir in die Produktion und fragte: „Ich glaube nicht, dass Sie solche Zeitschriften lesen, aber haben Sie schon Ihr Bild in der neuen „Geo“ gesehen?". Mir schwante Böses. Schnell erwarb ich beim Kioskbesitzer meines Vertrauens jene Illustrierte, und am nächsten Tag musste ich ins Personalbüro und Betriebsleiter nebst Personalchef Rede und Antwort stehen. Dort reagierte ich mit Ausflüchten auf Fragen wie „Halten Sie sich öfter in solchen Kreisen auf?“. Ich fand es halt komisch, dass die Schlipsträger wegen eines popligen Bildes so ein Fass aufmachten. Schließlich stellte mein Äußeres keine sichtbare Verbindung zwischen meiner Person und der arbeitgebenden Firma her.
   Diese kleine Erinnerung ist gewiss nichts Weltbewegendes oder etwas das unbedingt erzählt werden muss, ist aber ein Beispiel für die Geschichten die hinter einem sichtbaren Bild stecken können. Jedenfalls erzähle ich gern solche Sachen. Wer mich deshalb allerdings für einen Menschen hält, der hauptsächlich zurückschaut und für den „früher alles besser war“ schätzt mich falsch ein. Früher war nur manches besser, manches schlechter, aber hauptsächlich vieles anders als jetzt. Wirklich besser war damals nur der eigene körperliche Zustand, und so würde ich auch reden, wenn meine folgenschwere Erkrankung nie geschehen wäre. Mittlerweile macht es mir schon seit vielen Jahren nichts mehr aus, an die Zeit zurückzudenken in der noch Musik, Gespräche und Mobilität eine große Rolle für mich spielten. Bei Leuten die mir erzählen wollen, dass „früher alles besser war“, empfinde ich in der Regel nur noch amüsierte Verachtung. Früher war wenig besser, aber vieles anders. (Labermeia: Außerdem glaubte ich Anfang der Achtziger mit Sicherheit nicht, dass ich in einer wunderbaren Welt leben würde und eine tolle Zukunft vor mir liegt...)

Link zu Punk + Schreiben

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