Immer weiter (1)

Und weiter geht´s mit Konzertberichten aus alten Ausgaben des Tiefschlag, diesmal mit dem ersten von vier zu Wiederveröffentlichung ausgewählten Artikeln aus dem im Sommer 1981 erschienenen Nummer 5. Zu dessen damaligen Erscheinungsbild möchte ich kurz etwas sagen.
  Jenes war merklich von meiner Begeisterung für die Artwork von Veröffentlichungen der englischen Band Crass Wikipedia Crass Live-Video geprägt, die rotzigen, minimalistischen Punk, künstlerische Einflüsse und politisches Engagement verband und in dieser Zeit für viele Punks eine richtungsweisende Punkgruppe darstellte. So auch für mich. Erstmalig wurde der Tiefschlag auf gräulichen Umweltschutzpapier gedruckt, da dessen Aussehen mir sehr gut gefiel und es so den Werken von Crass ähnelte. Auch das Cover ist durch die verwendete Schablonenschrift ein Beleg für meinen damaligen Gestaltungswunsch. Gerade letzteres zu erreichen war damals nicht einfach, und alleine eine Sprühschablone für die Cargoschrift herzustellen erforderte stundenlange Arbeit. Anfang der achtziger Jahre bedeutete so ein Vorhaben eine mitunter sehr lange Beschäftigung mit einem Teppichmesser und einer dicken Plastikfolie (jedenfalls für einen arbeits- und mittellosen Jugendlichen ohne reiche Eltern). Das war wirklich ein deutlicher Unterschied zu den gestalterischen Möglichkeiten des Folgejahrzehnts als solche Dinge dank der aufkommenden Computertechnik merklich leichter zu realisieren waren. Aber verlassen wir den Bereich der designtechnischen Probleme in prädigitaler Vorzeit und wenden uns dem Inhalt des kurzen Berichtes zu.
  Anfang 1981 sollte aus irgendeinem Grund eine Fete in der Aula des Bonner Beethoven-Gymnasiums stattfinden, bei der auf der dortigen großflächigen Bühne auch lokale Bands "zum Tanze" aufspielen sollten. Zu dieser Zeit besuchten ein oder mehrere Mitglieder des aus der Bonner Punkszene stammenden New Wave/Avantgarde-Projektes diese Schule, sollten dort auch auftreten und da sie auch die Musiker zweier weiterer lokaler "Rockbands" kannten luden sie direkt und dazu ein. Über diesen stimmungsvollen Abend schrieb ich damals:

30.01.1981

Bonn Beethoven-Gymnasium

Im BG fand am 30.1. eine Schulfete statt auf der auch spielen sollten, die auch gleich und dazu einluden. Leider wussten wir nicht wann es anfangen sollte, wir kamen dann um fünf Uhr an und waren natürlich viel zu spät dran. hatten schon mehr oder weniger gespielt und auf der ziemlich großen Bühne lärmten gerade Canal Terror Demos mit Ihrem Song Persil herum. Wir waren gerade fünf Minuten da, schon hörte es auf. Die netten Veranstalter hatten den Strom abgedreht. Frustration bei mir und den anderen BN-Punx, ich fragte noch mal nach, ob wir auch noch spielen könnten, aber das ging aus zeitlichen Gründen nicht und außerdem waren Nof und Dung nicht anwesend. Schließlich erklomm so ne Popelrockgruppe die Bühne und begann mit ihrem Krautrock. Doch leider wollten wir alle unseren Spaß (sprich Pogo oder Randale) haben und fingen daher sofort mit dem Nervenkrieg gegen die Rockgruppe an. Es flogen einige Büchsen auf die Bühne, zu viert stellten wir uns vor die Bühne und berotzten den Sänger (ich hab ihn einmal voll in die Fresse getroffen. Stolz!) und als dann einige Flaschen auf die Bühne flogen hatte die Gruppe genug und wollte nicht mehr. Die Veranstalter waren ziemlich aufgeregt und rannten hysterisch herum, da besonders unter den Punx das Rauchverbot ignoriert wurde und der ach so neue Parkettboden vor der Bühne mit Glasscherben bedeckt war. Schließlich einigten wir uns mit den Veranstaltern, wenn wir die Scherben wegfegen würden dürften noch mal spielen.
Das war uns allen natürlich recht und so zeigten sofort Achmed und Fabian ihre Talente als Straßenfeger. Kurz danach fetzten dann die (C) Anal-Terroristen los mit ihren schnellen und halbschnellen Pogosongs. Zwanzig Punx stürmten vor die Bühne und tobten wie wild herum. Das war einfach herrlich, ziemlich harter Pogo und spielten sehr gut, besonders mein Lieblingslied Nulltarif fand ich voll geil. Leider durften/konnten sie nur etwa zwanzig Minuten spielen und hörten dann auf. Danach gingen noch gut dreißig Punx durch Bonn und hatten noch ein schönes Erlebnis.
Vor ner Frittenbude wurde Kuta von nem Asi angemacht, der ihm eins in die Fresse haute. Doch der Asi hatte wohl die Bullen nicht gesehen, die in der Nähe standen und auf uns aufpassten. Die Bullen schnappten sich sofort den Asi, der sich wie ein unschuldiges Lämmchen aufführte und natürlich meinte, dass wir angefangen hätten. Arschloch. Jedenfalls waren die Bullen diesmal auf unserer Seite, wirkliche Freunde und Helfer. Dass es so was noch gibt... Danach ging es wie üblich weiter, saufen gehen und so (Ouzo über Alles).

Soweit meine damalige Berichterstattung. Übrigens ist die Schreibweise des Bandnamens in der Artikelüberschrift kein Fehler. In den ersten Wochen ihres Bestehens nannte sie sich die Band wirklich noch so und manche Bandmitglieder trugen diesen aufgesprühten Namenszug auf ihren Lederjacken. Innerhalb kurzer Zeit bürgerte sich allerdings das bekannte ein (wohl weil alle den Bandnamen immer so aussprachen) und die Gruppe selbst übernahm diese Schreibweise.
  Da ich diesen alten Tiefschlag-Artikel als eine gute Gelegenheit werte eine modische Eigenart der Bonner Punks in jener Zeit zu beschreiben füge ich an dieser Stelle noch einige Worte zu dem im Text erwähnten freudigen Ereignis nach dem Konzert ein:

Wie im Konzertbericht erwähnt erheiterte später noch eine kleine Begebenheit die Bonner Punks. Um dies zu erzählen muss ich etwas weiter ausholen, und zwar zu dem Thema des damals üblichen Lederjackenschmucks. Schon seit vielen Jahrzehnten wird fast jede Lederjacke von kegelförmigen Schmucknieten verziert, aber in den Jahren 80/81 waren solche im Köln/Bonner Raum nicht zu erwerben, jedenfalls wusste keiner der mir bekannten Punks von einem Geschäft in dem sie angeboten wurden. (Labermeia: Meine ersten Nieten kaufte ich im Sommer 1981 bei einem Berlinbesuch in der Punkboutique Blue Moon und war mächtig stolz auf diesen Besitz.) Angesichts des Konsumnotstandes wurde improvisiert, und viele Bonner Punks schmückten ihre Lederjacken mit so genannten Spikes, schraubbaren und bis zu zwei Zentimeter langen Nägeln die normalerweise Leichtathleten zwecks Erhöhung der Standfestigkeit an den Sohlen ihrer Sportschuhe anbringen. (Labermeia: Das war eine interessante lokale Einzigartigkeit. Damals war ich in vielen deutschen Städten zu Besuch und traf dort beheimatete Punks, aber spikesbewehrte Lederjacken waren eine Ausnahme. Lediglich Punks aus Bonn trugen solche.) Nicht selten wurden solche Spikes zu Dutzenden von jungen Bonner Punks erworben, und ich fragte mich oft ob nicht so mancher Verkäufer über einen plötzlichen Ausbruch von Leichtathletikfieber unter den Punks rätseln würde… Um zu meinem eigentlichen Erzählvorhaben zurückzukommen: Nach dem Konzert gingen wir einer größeren Gruppe von Punks durch die Bonner Innenstadt, wobei sehr viele der Punks spikebewehrten Lederjacken trugen. Zu jenen gehörte auch Kuta, dessen rechte Schulter von einem wahren Schraubnägelwald großflächig geschmückt wurde. Auf unserem Weg kamen wir an einer Frittenbude vorbei vor der mehrere Menschen wartend standen. Unter den Wartenden befanden sich ein schnauzbartbewehrter junger Mann und vor der Frittenbude stand ein bemannter Streifenwagen. Gerade letzterer Anblick war für uns normal, denn immer wenn eine größere Gruppe von Punks in der Innenstadt unterwegs war hielten sich schnell einige Polizisten im Hintergrund auf. Aufgrund unserer Erfahrungen war dies aber selten mit einem Gefühl des Beschütztseins und der Sicherheit verbunden. Jedenfalls verspürte Kuta ebenfalls Hunger, wollte auf die Schnelle eine Portion Fritten erwerben, gesellte sich deshalb zu den Wartenden. Wir wissen nicht welche Gedanken den jungen Schnauzbart angesichts des neben ihm stehenden Punks erfüllten, jedenfalls sagte er das eine putative Notwehr ankündigende Wort "Ischschlochdichzumkrüppelundwenndiebullendabeistonn" zu Kuta und schlug nach ihm. Kuta konnte der auf sein Gesicht zielenden Faust ausweichen, so dass diese nur seine spikesbewehrte Schulter traf. Dabei verletzte sich der Schnauzbart natürlich und Blut floss aus der Wunde. (Logisch, man darf sich ja auch nicht über Verletzungen wundern wenn man vorher mit aller Kraft auf ein Nagelbrett geschlagen hat.) Zu unserer Belustigung nahmen die Polizisten dann den zivilcouragierten jungen Mann statt des bürgerverletzenden Punks fest, obwohl uns eine gegenteilige Entwicklung auch nicht verwundert hätte. Es ist halt nicht besonders klug Polizisten in Hörweite "Bullen" zu nennen und gleichzeitig einen Angriff auf eine dritte Person auszuführen, egal ob man sich im Recht wähnt oder nicht. Wir fanden es jedenfalls auferbauend einen unerwarteten Moment von staatlicher Gerechtigkeit zu erleben.

P.S.: Die in Berlin erworbenen Nieten schmückten knapp zwei Jahrzehnte meine Lederjacke. Ende der Neunziger versuchte ich mich ein wenig in Case Modding, besprühte das Gehäuse meines Computers mit schwarzer Farbe und befestigte einige der Nieten an diesem. Das gefiel mir. Allerdings verzichtete ich darauf mittels Sprühschablonen die Schriftzüge meiner beliebtesten Hardwarehersteller anzubringen, obwohl der Rechner dann bestimmt noch punkmäßiger ausgesehen hätte.

So, das war es für dieses Mal. Im nächsten Artikel geht es dann weiter mit dem zweiten Wischi Waschi-Festival im Mai des Jahres 1981, jenen Tag, als ich erstmalig mit auf einer Bühne stand, mich mit erwartungsvollen Blicken konfrontiert sah, und später dann hochlyrische Texte wie "…ist doch alles Scheiße, Scheiße" oder "... weil ich völlig am Arsch bin" herausbrüllte…

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