Im Jahre 1979 entstanden an Hamburger Gymnasien die sogenannten Popper, die meist aus der Mittel- bis Oberschicht stammende Kinder reicher Eltern waren, bewusst konformistisch und elitär auftraten, ihre Besitztümer zur Schau stellten und stets nur Kleidungsstücke teurer Modemarken trugen. Zudem bezeichneten Popper die Mitglieder der anderen subkulturellen Jugendgruppen (
Fußballfans, Hippies, Rocker, Punks, Teds) geringschätzig als "Prolos", sahen sich als etwas Besseres an. Ihre auffälligsten äußeren Markenzeichen waren frisch gewaschene und gescheitelte Haare, oft getragen in Frisuren deren in die Stirn fallende "Tolle" besonders groß war und manchmal ein Auge vollständig bedeckte. Dazu kamen die von Modedesignern neu ersonnenen sogenannten Karottenjeans, die an der Hüfte weit und um die Knöchel eng waren, einen bewussten visuellen Gegensatz zu den in den siebziger Jahren modischen Schlaghosen darstellten.
Zur Jahreswende 79/80 beherrschte aber eine andere Entwicklung in der jüngeren Generation die Berichterstattung, welche von den Medien mit dem Schlagwort
Jugend 80 bezeichnet wurde. Ein nicht unbedeutender Teil der nachwachsenden Generation rebellierte gegen staatliche Maßnahmen und gegen eine verkrustete, von "Spießern" getragene Gesellschaft. Gebildet wurde diese Bewegung hauptsächlich von mehr oder weniger langhaarigen Anhängern der linksradikalen Alternativkultur, die vor Pöseldorf fast völlig unbekannten Punks spielten bis dahin höchstens eine Nebenrolle. Fast monatlich kam es zu Protesten oder handfesten Auseinandersetzungen an Großbaustellen (
meist geplante Atomanlagen, später auch an der Startbahn West am Frankfurter Flughafen), führten einzelne Auftritte im Rahmen der Bundeswehr-Propaganda-Tournee "öffentliches Rekrutengelöbnis" zu Straßenschlachten, und aufgrund der unter jungen Menschen grassierenden Wohnungsnot wurden immer mehr leerstehende Hauser besetzt. (
Labermeia: Ich erinnere mich Mitte bis Ende dieses Jahres irgendwann an einem Abend eine Talkshow geschaut zu haben bei der es um das Thema Hausbesetzungen ging, und bei der einige Politiker konservativer Gesinnung ihren Verbaldurchfall dazu herauspressen durften. Im Publikum war aber eine größere Gruppe von Hausbesetzern aus Berlin-Kreuzberg vertreten, die sich als eine lautstarke Opposition erwiesen. Jene hatten einen Lachsack dabei, und immer wenn ein Politiker redete erklang dazu ultradreckiges Gelächter aus dem Publikum. Manche dieser krawattengewürgten Wortführer der Bürgerszene zeigten sich merklich irritiert von dem unerwarteten Feedback. Das fand ich köstlich und besser als Wortgefechte oder Pöbeleien. Da diese Ausstrahlung keine Aufzeichnung war sondern live gesendet wurde, konnte auch die Regie nicht gegen dieses unvorhergesehene Publikumsverhalten vorgehen ohne einen größeren Eklat zu provozieren.)
Nach den Pöseldorfer Ereignissen wurden auch die Punks zur rebellierenden
Jugend 80 gezählt, und es schien als würden Protest und eine ablehnende Haltung immer größere Teile der Jugend erfassen. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, wurden in den ersten Monaten 1980 von meinungsbildenden Medien wie der Jugendzeitschrift
Bravo die Popper als Gegenbewegung zur
Jugend 80 hochstilisiert und beharrlich gehypt. Oft wirkte es als wollten manche Medien durch das Beispiel Popper
"Unsere Jugend ist doch gar nicht so" sagen. Eine naheliegende Vorgehensweise, denn durch ihr Erscheinungsbild und ihre Denkweise eigneten sich Popper hervorragend als Gegenpol zu den meist gegen die etablierte Gesellschaft rebellierenden Jugendlichen.
Für mich und andere Punks im Rheinland waren Popper in den ersten Monaten des Jahres 1980 kein Thema, ja war selbst deren Existenz uns nicht bekannt gewesen. "Spießer" (
junge und alte Bürger die die etablierten Moralvorstellungen und gesellschaftlichen Strukturen unbedingt erhalten wollten, sich gegen jede Änderung sträubten, nicht selten ihre Ziele mit körperlicher Gewalt zu erreichen gedachten) waren dagegen ein fast täglich auftretendes Problem. Aber die mediale Manipulationswelle ging auch an unseren Köpfen nicht gänzlich vorbei und für einige Monate wurden die Popper von uns als ein Feindbild angesehen obwohl ich in Bonn und Umgebung niemals einen richtigen Popper sah. Das verwunderte nicht, denn größere Gruppen der parfümierten Jungschnösel gab es höchstens in einigen Millionenstädten. Zudem besaßen sie als Jugendkultur nur eine geringe Bedeutung, da erstens eine Hinwendung zum Poppertum finanzkräftige Eltern voraussetzte und zweitens junge Erwachsene meist auf die vorhandene Erwachsenenwelt mit Rebellion und nicht mit überangepassten Konformismus reagieren wollten.
In Siegburg oder Bonn gab es nie irgendwelche Popper, aber dafür jede Menge junge Schlägertypen, die weil sie eine Karottenjeans trugen und ihre Mittelscheitelfrisur frisch geföhnt zur Schau stellten meinten Popper zu sein. Meistens war das aber nichts weiter als eine selbst ausgesprochene Legitimation dazu um auf Punks wegen einer "offiziellen" Feindschaft einzuschlagen. Ein einziges Mal trat jene phantomhafte Jugendbewegung im Köln/Bonner Raum in Erscheinung, als im Herbst 1980 die Kölner Boulevardzeitung
Express über ein angebliches
Punktreffen in Köln fabulierte. Diese Meldung erstaunte uns, da praktisch kein Punk vorher davon wusste, obwohl in jenen Monaten der Informationsstand der Bonner Punks über die bundesdeutsche Punkszene ziemlich hoch war. Zum Beispiel bekamen andere Bonner Fanzinemacher und ich wegen der ständig wachsenden Vernetzung fast jedes bundesdeutsche Punkfanzine in die Finger. Also hätten wir mit Sicherheit frühzeitig davon erfahren wenn wirklich ein Treffen von Punks in Köln geplant gewesen wäre. Offensichtlich war es eine reine nach dem Motto
"Wenn es nichts gibt über das wir schreiben können, sorgen wir einfach dafür, dass es was gibt"-boulevardzeitungsübliche Journalistenerfindung, was zudem noch durch das zur Artikelillustration hinzugefügte Bild bekräftigt wurde, welches eher an einen an einer neurologischen Erkrankung leidenden Hippie als einen richtigen Punk des Jahres 1980 erinnerte. Solche seltsamen Bilder von Punks wurden gerne von Medien verwendet deren aktueller Wissensstand in Bezug auf Punk gen null tendierte. Folglich kam auch kaum ein Bonner Punk der Krawallaufforderung nach, wurde das angebliche "Treffen" mit Ignoranz quittiert.
Aus Neugier waren einige wenige Vorstadtpunks aber dann doch dort gewesen, berichteten, dass erwartungsgemäß am Kölner Hauptbahnhof nur wenige Dutzend wirkliche Punks gewesen waren, sich aber dafür Horden von frischgeföhnten Prügelpoppern und zivilcouragierten Aktivbürgern eingefunden hatten, welche auf die wenigen Punks Jagd machten, auf sie einschlugen. Dieser Ablauf war echt keine Überraschung.
Auch überregional sorgten die Popper während ihrer medialen Hochphase nur in zwei Fällen für nennenswerte Meldungen, die beide auf Ereignissen im Oktober des Jahres basierten. Das
Erste fand am 17. des Monats in Berlin statt, als einige hundert Punks (
verstärkt von vielen Aktivisten der Instandbesetzerszene) einen Auftritt der Band "Die Popper" zu stürmen versuchten nachdem Gerüchte (
die sich später natürlich als völliger Humbug herausstellten) über einen durch Popper erstochenen Punk aufgekommen waren. Zwei Tage später wurde dann als
Gegenreaktion die Berliner Punkkneipe
Chaos (
in diesem Herbst war das Chaos öfter in den Medien gewesen, u.a. als Ziel einer wegen der Punks ins Leben gerufenen Bürgerwehr) von Poppern überfallen, ein Ereignis, dass ebenfalls als überregional interessant gewertet und vermeldet wurde. (
Wer mehr über das Chaos und die Aktionen der dortigen Bürgerwehr erfahren möchte sollte den alten Stern-Artikel unter diesem Link lesen.)
Aber der künstlichen Anti-Antitrend-Jugendbewegung war nur eine kurze Lebensdauer beschienen. Nach nur einem Jahr verschwanden Ende 1980 Popper fast völlig aus unserer Wahrnehmung, da Politik und handfester Jugendprotest einen immer größeren Raum in unserem Denken einnahm. Auch in den Medien wurden sie praktisch nicht mehr erwähnt, denn die Instandbesetzerbewegung hatte an Größe zugenommen und machte durch vielfältige Aktionen von sich reden. Viele andere Dinge bewegten nun die Gedanken von Punks und bürgerlichen Berichterstattern, sodass die protzigen Kinder reicher Eltern nun als viel zu nebensächliches Thema erschienen.
Spätestens 1982 hatten Popper als medial propagierte Gegenspieler der Punks dann ausgedient, als mit den Skinheads eine visuell weitaus bedrohlicher erscheinende Jugendbewegung entstanden war. Zwar hielten sich in einigen großen Städten kleinere Reste dieser Kunstbewegung noch einige Jahre, aber als die meisten der früheren Protagonisten ihre Schul- oder Universitätszeit absolviert hatten und sich einer beruflichen Karriere widmeten verschwanden die Popper sang- und klanglos von der Bildfläche.