Immer weiter (2)

Beginnen möchte ich diesen Text mit einigen weiteren Einschätzungen zu den die damalige Zeit prägenden Auseinandersetzungen zwischen den unter der gemeinsamen Bezeichnung Punk agierenden "Avantgarde"- und "Pogo-Punk"-Fraktionen. Das zweite war in allen Belangen ein gutes Beispiel dafür.   In den Anfangsjahren des deutschen Punk fühlten sich ebenso rebellische Jugendliche, die provokantes Aussehen und eine harte Gitarrenmusik bevorzugten, von Punk angezogen wie ältere, oft künstlerisch ambitionierte Menschen, die ebenso wie junge Punks mit der herkömmlichen Disco- und Rockmusik nichts anfangen konnte. Diese Älteren dominierten oft durch die Organisation größerer Konzerte mit mehreren Gruppen das musikalische Gesamtbild (Ausnahmen wie das vom jungen Duisburger Punk Willi Wucher organisierte Ungewollt-Festival in Duisburg bestätigten die Regel). Entsprechend dem Musikgeschmack der Festivalorganisatoren traten nicht wenige dieser "Pfeif Zisch Piep"-Bands (derartig bezeichnete ich diese künstlerischen Klänge) vor einem zum Großteil aus jungen Lederjackenträgern bestehenden Publikum auf.
  Als ein gutes Beispiel für jene Vielschichtigkeit der frühen Punkszene waren die 1979 in Hamburg stattgefundenen Festivals "Into the Future", "In die Zukunft" und "Geräusche für die 80ger", deren Organisation hauptsächlich auf die Kreise um den Sounds-Redakteur Alfred Hilsberg zurückging. Während es in Hamburg bei solchen gemeinsamen Konzerten beider Fraktionen nicht selten zu Schlägereien und Bühnenstürmungen gekommen war, liefen die ähnlich strukturierten Bonner -Festivals deutlich friedlicher ab (das dritte war dann natürlich nicht "friedlich", aber die Gewalt ging ja nicht von den Punks aus und ich glaube nicht, dass die Rocker sich nur wegen der Künstlermusik genötigt fühlten mit Schlagwerkzeugen auf das Publikum einzuprügeln). Anders als in Hamburg genossen zwar die jungen Punks die Auftritte "ihrer" Bands, ignorierten oder tolerierten aber die Darbietungen der künstlerischen Gruppen.
  Dieser Unterschied wurde besonders beim zweiten deutlich, da die meisten Punks das Konzert nach dem Auftritt von als eigentlich beendet ansahen, die nachfolgenden Bands nur für Freunde künstlerisch ambitionierter Musik oder eingängeriger Klänge interessant waren. Über jenes Festival schrieb S. damals folgenden Artikel:

07.03.1981

Bonn Nam Nam

Tja Leute, am Samstag, den 7. 3. 81, sollte endlich mal wieder ein Konzert in Bonn stattfinden: Teil 2 mit insgesamt acht Gruppen (gespielt haben dann schließlich nur sieben). In Siegburg traf ich erstmal die Troisdorfer Ultra-Hard-Core-Punx. Mit denen fuhr ich dann erstmal bis zur Uni, wo wir uns mit 'n paar anderen Leuten treffen wollten. Nach und nach kam auch so einiges an Leuten zusammen, so dass wir schließlich mit ca. 30 Leuten runter nach Friesdorf zum Nam Nam fuhren. Dort angekommen das übliche Bild: Die grünen Autos mit den grünen Männchen waren schon da. Dann sind sie die ganze Zeit um uns herumgekurvt während wir zum Nam Nam gingen. Hatten wohl Angst, dass wir Anarchie machen. (Haben wir dann auch; bei Rot über die Ampel gegangen, hähä). Im Nam Nam angekommen, war ich überrascht von den vielen Leuten die da waren. Viele bekannte, aber auch unbekannte Gesichter.
Naja, nach ein paar Bier ging's dann los! Zuerst sollte die Stargruppe des Abends spielen: ! Chefredakteur Riss als Sänger und Redaktionsmitglied Achmed an den Drums. Die restliche Besetzung: Nof Gitarre und Dung am Bass. Als unsere Helden auf die Bühne kletterten rechnete ich mit dem Schlimmsten. Schließlich hatten sie erst zweimal vorher geprobt. Doch dann ging's los mit 'm Pogo und sofort war auch Stimmung da. Ich muss sagen, ich war echt erstaunt, dass es so gut ablief, lediglich der Gesang war manchmal schlecht zu verstehen. Das Publikum war echt gut drauf, sogar Tesa machte beim Pogo mit. Mit Nof lieferte ich mir eine Rotzorgie, wobei mir Nof einmal voll aufs Auge rotzte, die alte Sau! Am besten war noch immer der Anblick von Achmed hinterm Schlagzeug. Grinsend und mit rotem Kopf flogen seine Arme nur so durch die Gegend. Irgendwie erinnerte er mich an den Drummer von der Muppets-Show. Alles in allem war's recht lustig und recht gut.
spielten ca. 'ne Viertelstunde, dann kam Canal Terror Live in Bonn 1981, Bonns Pogoband Nr.1. Was soll ich noch viel sagen, sie waren der Höhepunkt vom ganzen Abend. Pogo total! Sie spielten ungefähr ne halbe Stunde. Als alle Pogoleichen erschöpft zu Boden sanken, wurde die Bühne erstmal umgebaut, da es von nun ab nur noch Nju Weif geben sollte. Nach 'ner Viertelstunde kam dann , ex- Art. 5. Naja, besonders gut fand ich die nicht. Gitarre und Synthi, aber sie waren noch ganz gut im Vergleich zu dem, was später folgte.
Als näxte Gruppe spielte Album Östro 430Östro 430 - Sexueller Notstand, aber zu denen kann ich leider nix sagen, weil ich gerade irgendwo am rumsaufen war. sollen aber nich so besonders gewesen sein, also hatte ich nix verpasst. Doch dann kams: Das absolute Brechmittel: . Ich denk, ich seh' nicht recht, erscheint da auf der Bühne der Typ von Splitter, den ich schon letztes Jahr beim Teil 1 aufgrund seines vorgetragenen musikalischen Mülls vollrotzen musste. Und richtig, diesmal war es sogar noch schlimmer. Unartikuliertes Schreien und Gebrülle gab dieser behinderte Typ von sich. Es war so unerträglich, dass die meisten Punks erstmal alle rausrannten. Alle atmeten auf, als der Auftritt dieser ach so avantgardistischen Gruppe beendet war. Als nächste Gruppe sollte folgen. Deren Musik wirkte irgendwie auch komisch. Stellenweise gab's zwar Pogoansätze, aber ich fand die Gruppe stumpf und langweilig. Naja, Geschmacksache.
Ja, und schließlich kamen dann noch die von Tesa mit Spannung erwarteten .Foto Wirtschaftswunder Ich war ja schon auf einiges gefasst, da ich schon mal in Ihre LP The Wirtschaftswunder – Analphabet reingehört hatte (würg), doch so schlimm hatte ich sie mir nicht vorgestellt. Die waren fast wie , nur dass die Typen auch noch so gestört aussahen wie se spielten. Unter anderem verwendeten auch Trillerpfeifen und so'n Zeug für ihre musikalischen Darbietungen. Ich bin ja bestimmt nicht intolerant, aber wenn das die richtungsweisende neue Musik ist, heiß ich entweder Tesa oder ich bin bekloppt.
Aus diesem Grund hab ich den Schluss auch gar nicht abgewartet, sondern bin schon mal mit nen paar anderen Leuten Richtung Hauptbahnhof abgehauen. Am HBF angekommen wurden wir erstmal von den Bullen in Empfang genommen und gefilzt, weil wir angeblich in der Bahn rumrandaliert hätten. (Stimmt echt nicht). Doch das Beste war, wie auf einmal noch 20-30 Bullen mit Helmen und teilweise auch mit Kötern dazukamen. Und als ich fragte, was dieser Aufmarsch soll, wurde mir gesagt, man wolle jetzt härter gegen die Punx vorgehen und jetzt auch (wortwörtlich) voll zuschlagen. Jeglicher Kommentar dazu erübrigt sich wohl.

Ein bisschen

Die mit beste Bonner Punkband der frühen achtziger Jahre sah ich in der Zeit ihres Bestehens (1980-84) sehr oft, wahrscheinlich ein bis zwei Dutzend Mal. Ihr im letzten Beitrag erwähnter Auftritt im Beethoven Gymnasium war beileibe nicht ihr erster Gang an die Öffentlichkeit, denn bereits bei einer Fete zum Jahreswechsel 1980/81 standen sie auf einer Bühne. Dies war ihr erster "Auftritt" und jener der mir wegen der Rahmenbedingungen am stärksten in Erinnerung geblieben ist. Die Fete fand in einem Bonner Hinterhaus am Rand der Innenstadt statt (Für mit den Örtlichkeiten Vertraute: Fast schon Bonn-Endenich) und stellte einen krönenden Abschluss eines ereignisreichen Jahres dar. (Klugscheißermodus an: Auf der Website von Canal Terror heißt es: "Der erste Auftritt findet am 31.12.1980 in den Räumen des Bonner Punkplattenladens "Maggies Farm" (später Normal Records) statt…" In Bezug auf die Örtlichkeit ist das falsch. "Maggies Farm" war ein kleiner, alternativer Plattenladen in der Altstadt in dem neben Neuware auch Gebrauchtplatten an- und verkauft wurden. Ende 1979 fertigten Achmed und ich das Fanzine Kanal-Kultur an, welches fast nur Plattenkritiken enthielt und uns helfen sollte andere Menschen die diese neue Musik mochten kennenzulernen. "Maggies Farm" war der einzige Bonner Plattenladen in dem das Fanzine verkauft werden konnte (Labermeia: Dort gab es auch den Datenverarbeitung-Vorgänger Wellenreiter). Die erste Reaktion darauf bestand darin, dass der Vorsitzende des neugegründeten Vereins "Rock in Bonn e. V." mit uns in Kontakt trat. Wir besuchten ihn oft und sprachen über geplante Dinge. Er organisierte später auch die Sylvesterfete im Hinterhaus seines Wohnhauses. Kurz danach wurde - nachdem Achmed und ich bei dessen Erstrenovierungsarbeiten mitgeholfen hatten - im Erdgeschoss des Vorderhauses der Plattenladen "But it is normal?" eröffnet. Dieser stellte im Jahr 1981 einen der Fixpunkte der Bonner Punkszene dar. Ende des Jahres wurde der "But it is normal?" wieder geschlossen und auf der Bornheimer Straße unter dem Namen "Normal" neu eröffnet, spielte allerdings für uns Punks dann kaum noch eine Rolle mehr.Klugscheißermodus aus) So, nachdem ich diese für die weitere Existenz der Menschheit ungeheuer wichtigen Details richtiggestellt habe kann ich mit dem eigentlich Thema weitermachen… Jedenfalls sollten bei dieser Fete auch wieder und (Labermeia: Der übliche Szenenklüngel also) auftreten, aber da auf der von einem großen Tisch gebildeten Bühne kein Schlagzeug stand und auch keine Gesangsanlage vorhanden war weigerte ich mich aufzutreten. An diesem Tag war ich ziemlich erkältet und die Vorstellung derartig gehandicapt gegen Verstärker anbrüllen zu müssen gefiel mir nicht. Weniger Hemmungen hatten da . An diesem Abend absolvierten sie ihren ersten Auftritt, ohne Schlagzeug, ohne Gesangsanlage, und Sänger Tommy schrie sich mikrophonlos die Stimme aus dem Hals, versuchte den Lärm der elektrisch verstärkten Gitarren zu übertönen. Das gelang ihm natürlich nicht, aber die anwesenden Punks hatten trotzdem ihren Spaß. Auf dem biernassen Boden vor der Bühne gab es wilden Pogo mit vielen Stürzen, was aber den Gesamteindruck einer gelungenen und stilgerechten Punkfete nicht schmälern konnte. Nach dem Konzert fanden es einige   Punks sogar besonders "punkig" sich mit Messern Schnittwunden zuzufügen und sich gegenseitig mit der Stärke der Blutung zu übertrumpfen. "Sieger" wurde ein aus dem Bonner Umland stammender Punk der sich eine derart tiefe Messerwunde beibrachte, dass er wegen einer nicht zu stoppenden Blutung ins Krankenhaus gefahren werden musste. Zum Glück waren solch schwachsinnige Aktionen schon ab dem Folgejahr praktisch kein Thema mehr.
Fotos dieser Fete habe ich keine, aber damals existierten einige. Eines brachte es sogar zu einem Titelbild. Im Frühjahr 1981 erschien eine Ausgabe der Bonner Stadtzeitung "De Schnüss" mit einer Titelstory über Punk in Bonn. Als Coverbild wurde ein Photo dieser Fete verwendet. Dieses Heft besitze ich leider nicht mehr und bei einer Suche vor einigen Jahren fand ich lediglich eine winzig kleine Thumbnail des Covers. Es sieht zwar so klein total beschissen aus, aber ich setze es trotzdem mal hier rein. (Noch mehr Labermeia: Treffender wäre statt "leider" "zum Glück" gewesen. Die mehrteilige Titelgeschichte enthielt auch ein längeres Interview mit Achmed, Nof, Cheetah und mir das im Herbst des Jahres 1980 geführt worden war. Hätte ich vor einigen Jahren lesen müssen was ich damals als 17jähriger so dachte und sagte, hätten mich bestimmt nicht enden wollende Peinlichkeitskrämpfe geschüttelt...

Achmed und die Arschkriecher Bonn Nam Nam 07.03.1981

Dies war unser erster und gleichzeitig vorletzter Auftritt. Das ist auch nicht verwunderlich. Enthusiasmus und der Wunsch auf einer Bühne zu stehen und selbst Punkmusik zu spielen überstieg schließlich jegliches musikalisches Minimaltalent. Schon Mitte der Achtziger war die Musik deutscher Punkbands in allen Bereichen um Längen besser als das was wir mit als "Musik" bezeichnet hatten. Tonaufnahmen dieser Band besitze ich keine, aber dafür ein Foto von diesem Auftritt, auf dem ich als verschwitzter Sänger zu sehen bin. Sogar in der neuen Kölner Musikzeitung Spex wurden wir kurz erwähnt. Allzu begeistert klang „...als Zugabe spielten Achmed und die Arschkriecher eine Sex Pistols-Coverversion, bei der sich Sid Vicious bestimmt im Grabe umgedreht hat“ zwar nicht, aber das war mir echt egal. Außerdem gab "Rock e. V." nach dem Konzert von ein collagenähnliches Infoblatt heraus, von dem ich eine zerknitterte Kopie besitze die ich euch hier präsentieren kann.
  Einige Wochen nach unserer "Performance" bei traten wir noch ein zweites Mal im Nam Nam auf, als Vorgruppe bei einem von "Rock e. V." organisierten Konzert irgendeiner Krautrockband. Dieser Auftritt war sogar musikalisch noch schlechter als der erste. (Labermeia: Das Publikum bei diesem Gig bestand nur aus wenigen Dutzend Leuten, hauptsächlich Bonner Punks. Nach unserem Auftritt beschlossen wir alle (Band und Publikum) sofort zusammen in die Innenstadt zu fahren und einen trinken zu gehen. Das führte zu einer lustigen Situation, denn der Sänger der Krautrockgruppe hatte wohl noch nie erlebt, dass fast das gesamte Publikum nach dem Auftritt der Vorband geschlossen den Konzertort verließ. "Was soll das? Geht doch nicht alle weg! Bleibt doch drinnen!" rief er uns überrascht per Mikro hinterher. Tja, kein Bock auf Rock… )
  Das Bühnendebakel war dann für Achmed und mich der endgültige Anlass die Band zu verlassen. Bei ihm war es sogar der erste Schritt sich langsam vollständig von der Punkszene zurückzuziehen, während ich mit allem weitermachte und schon das nächste Bandprojekt plante. Die anderen beiden Mitmusikanten versuchten zwar mit neuen Leuten am Leben zu halten, benannten sich in "Gestapo Anti Facism" um und traten im Herbst beim Troisdorfer Provinzwahn-Festival auf (Artikel dazu kommt noch), aber sonst ist mir nichts Weiteres über Band oder Folgeprojekte bekannt. Wahrscheinlich lösten sie sich Ende des Jahres endgültig auf… Tja, unser musikalisches Können tendierte zwar gen Null, aber Spaß hatte die Sache mit trotzdem gemacht…
P.S. In diesem Buch steht in einem Szenebericht über Bonn in den Frühachtzigern wortwörtlich: "… die Legenden stiftenden ACHMED UND DIE ARSCHKRIECHER". Das finde ich lustig, besonders wenn man bedenkt wie es damals wirklich abgegangen ist…

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