Aufbruchsstimmung (3)

An dieser Stelle möchte ich etwas über die kalifornische Band und deren ersten Auftritt im Oktober 1980 in Bonn erzählen. Schon 1980 war die zwei Jahre zuvor gegründete Band in der deutschen Punkszene recht gut bekannt, da schon 1979 britische Musikzeitungen wie der "New Musical Express" über die Gruppe und deren jüngst erschienene Single Cover California über alles California über alles California über alles berichtet hatten. Aber auch schon vorher hatte dessen Sänger Jello Biafra einen gewissen subkulturellen Bekanntheitsgrad erreicht. In dem Anfang des Jahres in die Kinos gekommenen Episodendokumentarfilm Das ist Amerika 2.Teil war er mit seinen damaligen Aktivitäten ebenfalls vertreten gewesen, als Jello Biafra als Kandidat für das Bürgermeisteramt in San Franzisco zusammen mit Dutzenden dortiger Punks sehr skurrile Wahlkampfaktionen veranstaltet hatte (die mich im Nachhinein betrachtet stark an spätere APPD-Veranstaltungen in Deutschland erinnern).
   Zudem steigerte sich die Vorfreude in der wohl kleinsten Hauptstadt Europas durch die inzwischen veröffentlichte zweite Single namens Cover Holiday in CambodiaHoliday in Cambodia Holiday in Cambodia. Besonders gut fand ich den sarkastischen Songtitel. Die Texte der stellten wirklich etwas besonderes dar. Entsprechend des Zeitgeistes der politischen Rebellion waren sie ausschließlich politischen und gesellschaftskritischen Themen gewidmet (das konnte sogar ich trotz meiner miserablen Englischkenntnisse erkennen), ähnlich die der langsam bekannt werdenden Crass Crass - The Feeding Of The Fivethousand aus England. Aber musikalisch waren die um Längen besser als jene. Nicht wenige Punks hielten sie für eine der besten, wenn nicht gar für die beste Punkband der zweiten musikalischen Generation (als erste Generation sah man jene Bands an die 1976-78 für Punk gestanden hatten).
   Als es dann endlich soweit war und ich am frühen Abend des Konzerttages in den Rheinterrassen im weit von der Innenstadt entfernten Grau-Rheindorf eintraf war ich über den bisher noch nicht erlebten Andrang bei einem dort stattfindenden Punkkonzert erstaunt. Vor dem Bellawuppdich selbst war eine ansehnliche Menge von Punks versammelt, und schon eine Stunde vor offiziellen Beginn wurde deutlich, dass es das bestbesuchteste Konzert bei dem ich anwesend war werden würde.
   Bekannte Punks aus dem gesamten Bundesgebiet waren zur Stelle, ich sah sogar Gesichter von Menschen, die aus den nördlichsten oder südlichsten Teilen des Landes kamen. Diese Tatsache verwunderte mich weniger, denn erstens hatte ich doch wenige Wochen vor dem Auftritt einen Artikel über die Bonner Punkszene für das größte bundesdeutsche Fanzine Endlösung (das in Zweitausender Auflage erschien und in der ganzen Republik verbreitet wurde) aus Bremen geschrieben, in dem ich auf dieses bevorstehende Konzert hingewiesen hatte, gekoppelt mit einem Aufruf an alle Punks an diesem Tag nach Bonn zu kommen. Der zweite Umstand bestand in den nur sehr wenigen Auftritten der Band in Deutschland, und da es sehr wahrscheinlich war, dass ein Großteil der in diesem Land beheimateten Punks UNBEDINGT die sehen wollte, war es verständlich wenn manche Leute für einen erwählten Termin sogar längere Anfahrten in Kauf genommen hatten.
   Jedenfalls standen über hundert oder mehr Punks dichtgedrängt im Hof und auf der zu der als Einlass fungierenden schmalen Tür führenden Treppe, welche sich als ein Nadelöhr erwies, einen Besucherstau verursachte und längere Wartezeiten bewirkte. Obwohl in nicht enden wollender Folge immer weiter Punks in den Konzertraum eingelassen wurden, nahm die Menschenmenge geraume Zeit nicht ab, da ständig neu angekommene Punks den Hof betraten und sich der wartenden Meute anschlossen. Aber schließlich hatte alle den Einlass geschafft und am frühen Abend begann jenes denkwürdige Konzert, über das Tiefschlag-Mitarbeiter Wastl damals schrieb:

15.10.1980
Bonn Rheinterrassen

Ich hatte mich schon ziemlich früh zum Bonner Bahnhof aufgemacht, weil ich mir dachte, irgendjemand wird schon aufkreuzen, und kaum war ich da, schon traf ich den Troisdorfer Alkoholiker S., der diesmal allerdings nüchtern war. So mit der Zeit kamen dann auch alle Bonner Punx und Pseudos an, auch der ach so beliebte Tes-a-Film geruhte mal zu erscheinen. Nun, viele Worte über ihn zu verlieren wäre einfach zwecklos, deshalb lasse ich es lieber. Der ist doch noch öder als der Bonner Bahnhof, und das will was heißen. Wir marschierten dann noch was durch die Bonner Innenstadt, es war aber langweilig, bis auf die Sache mit dem Brunnen und der alten Oma, die meinte, so hässlich habe sie sich die Bonner nicht vorgestellt. Schöne Grüße aus dem bayrischen Wald! Außerdem hatten wir dann noch ein paar Gespräche mit so komischen grünen Männchen, die wollten wohl echt nicht begreifen, dass sie saudoof sind.
Richtig lustig wurde es erst, als ein paar Cölner Punx auftauchten, richtig spaßig wurde es dann. In der Straßenbahn wurde natürlich geraucht (also das können sie uns echt nicht verbieten) und ein paar Bierflaschen platzten vor Freude. Die Straßenbahnfahrerin hatte dann den Einfall, uns mit einem Trick aus ihrer Bahn zu schicken, ganz klar, dass dann Bierflaschen geflogen sind, ein ganz verständliche Reaktion auf die Provokation der dummen Pissflinte!
Später waren wir es dann, die provozierten, auf jeden Fall haben die Grau-Schleimdorfer den Horror ihres Lebens bekommen.(Oh, tun die mir aber leid!). So, endlich hatten wir die Rheinterrassen erreicht, und kann deshalb auch mit dem eigentlichen Konzertbericht anfangen(Endlich!). Es gab ein ganz geiles Gedränge am Eingang das manchmal etwas in brutalen Pogo ausartete, wenn die Ordner versuchten, die Punx von der Treppe wegzuschaffen, es war auf jeden Fall tolle Stimmung, viel besser als bei einer Beerdigung. Als ich dann endlich mit gequetschten Rippen und verkrampften Lachmuskeln in den Rheinterrassen drinnen war, traf ich dann auch die Boys von den Cölner Cotzbrocken (Hallo Michael!) die mir dann erzählten, dass sie bald eine EP rausbringen werden. Vielleicht ist sie jetzt schon draußen, auf jeden Fall viel Glück!
Als Vorgruppe trat die Cölner Gruppe auf, die mich aber irgendwie nicht fesseln konnten, obwohl bei ihnen die handwerklichen Qualitäten vorhanden waren. Es lag wohl auch mehr an den Songs, denen irgendwie noch die innere Struktur fehlte, und vor allen Dingen war das Publikum nur auf die eingestellt und hat den deshalb keine Chancen eingeräumt.
Und dann kamen sie, die "beste amerikanische Punkband", zu denen man wohl sagen kann, dass sie politisch ziemlich links angesiedelt sind. (Und außerdem, die Misfits find ich noch besser, aber das versteht ihr ja eh nicht). Die Punkers sind alle sofort voll am pogen gewesen (ich auch) und die Hippies sollen wieder mit ihren langen Lappen die sie Haare nennen die Fußboden gescheuert haben, aber was sollen die lahmen Säcke auch sonst machen? Die Musik war saugeil, ziemlich genau wie auf der LP, sie haben auch ihre "Paradestücke" California über alles und Urlaub in Kambodscha gespielt, es war ziemlich heiß und man kam echt schlecht an Bier ran, so musste ich es in der Pogomeute aushalten. Was noch zu den zu bemerken wäre, dass der maßgebende Mann ganz klar Jello Biafra ist, die anderen scheinen nur so eine Art von Statisten zu sein wenn auch mit ausgezeichneten musikalischen Fähigkeiten. Es war im Großen und Ganzen ein sehr gutes Konzert, die haben insgesamt drei Zugaben gegeben. Das einzige, das mich unheimlich sauer gemacht hat, waren diese ekelhaften Pseudos und Mods und anderes Gewürm, das da so runmgekraucht ist. Kleine Kinder mit so vielen Badges an der Jacke, dass sie bei einem Windstoß unweigerlich auf ihre Fresse gefallen wärn. 12-13jährige Punx, die auch echte Punx sind: OK. Aber so Schleimscheißer? Nee Danke!

Meine Vorfreude erwies sich als berechtigt. Ihre Musik begeisterte nicht nur mich, war betont schnell und gitarrenlastig, erfrischend aggressiv, und dabei von einer für Punkbands der zweiten Generation hohen spielerischen Qualität. Diese Leute konnten mit ihren Instrumenten umgehen. Besonders gelungen und ausdrucksvoll fand ich die Bühnenshow des Sängers Jello Biafra. Bei einem der letzten Songs warf er sich sogar in das Publikum und wurde von den Leuten über den Köpfen herumgetragen, sang dabei aber weiter. Sehr wahrscheinlich wurde bei diesem Konzert ein solches Verhalten erstmalig in Europa gezeigt, und 1980 ahnte niemand, dass es einige Jahre später eine der Hauptausdrucksformen der Hardcorebewegung sein würde, den bekannten Namen „Stage Diving“ trug, und noch viel später zu einem Bestandteil orthodoxen Konzertverhaltens werden würde.
  Bei dem Konzert war auch ein Filmteam anwesend das Aufnahmen für den geplanten Film Randale & Liebe über die Kölner Punks machte, und deshalb kann ich an dieser Stelle auch bewegte Bilder vom Auftritt der präsentieren:

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Leider sorgte das massenhafte Auftreten von Punks im sonst sehr ruhigen und wie eine sauerländische Ortschaft wirkenden Stadtteil Grau-Rheindorf für einigen Ärger unter den Einwohnern. Wie immer wenn sich größere Menschenmengen anlässlich eines Ereignisses an einem Ort versammeln, waren auch hier einige Hohlköpfe darunter, die sich irgendwelchen persönlich motivierten unsinnigen Aktionen widmeten und sich keinerlei Gedanken über die dadurch verursachten Folgen machten. Das gravierendste Resultat dieses Abends war, dass der Auftritt der das letzte Konzert in einer langen Reihe von Punkkonzerten in diesem Jahr war. Dieser alte Zeitungsartikel belegt es. Wie darin angekündigt fanden für längere Zeit keinerlei Auftritte von Punkbands in den Rheinterrassen mehr statt, und erst ab 1982 gab es dort sporadisch wieder einige Punkgigs, aber eine Konzertdichte wie in 1980 erlebt sollte sich nie wieder einstellen.
Cover Stuttgart über alles  Nachtrag: Die Bedeutung der für die Punks in diesem Land wurde vielfach deutlich, denn fast jeder stellte entweder auf seiner Lederjacke den Bandnamen zur Schau, trug einen -Badge oder eine der in dieser Zeit üblichen Bandnamen-Armbinden. Besonders interessant finde ich, dass die im Folgejahr erschienene erste EP der Stuttgarter Punkband Normahl Foto von Normahl Normahl Stuttgart über alles-EP ein Cover aufwies das ein nur geringfügig modifiziertes Plattencover der ersten -Single war.

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