Als das leben noch lauter war (3)

Im Jahr 1980 reisten wir auch manchmal in andere Städte, kann ich mich an gemeinsame Fahrten nach Berlin, Düsseldorf und Duisburg (Artikel über das Ungewollt-Festival im Duisburger Eschhaus kommt demnächst) erinnern. Hierbei standen wir oft vor dem “Wo pennen?“-Problem. Da erst Ende des Jahres dank der Sounds-Kolumne "Neuestes Deutschland" von Alfred Hilsberg reichlich Kontakte zu Punks in anderen Städten vorhanden waren, änderte sich die Situation dann. Außerdem begannen ab Ende des Jahres besetzte Häuser als eine kostenlose Übernachtungsmöglichkeit für Punks eine Rolle zu spielen. Das war in den Monaten davor nur selten der Fall gewesen, denn im Gegensatz zu Berlin waren im Bundesgebiet nur wenige Häuser besetzt, die Punks aus anderen Orten als Anlaufpunkte dienen konnten. Erst im Folgejahr 1981 stieg die Zahl jener an, gab es in fast jeder Stadt ein solches (Labermeia: Sogar in Bonn, remember Münsterstraße 21), bewirkten eine verstärkte Reisetätigkeit vieler Punks und als Folge derer eine wachsende Vernetzung der Szenen von verschiedenen Städten.
   Aber im Sommer 1980 war dies alles noch Zukunftsmusik. Deshalb mussten wir uns meist noch selbst um Schlafmöglichkeiten kümmern. Bei der im Tiefschlag #3 erzählten Reise nach Düsseldorf kamen Achmed und ich in einer Jugendherberge unter (Das einzige Mal in meinem Leben, dass ich außer früher bei Klassenfahrten an einem solchen Ort genächtigt habe. Es wird aber auch mit ziemlicher Sicherheit dabei bleiben, außer ich werde plötzlich wieder immer jünger, was aber sehr unwahrscheinlich ist), da uns keine andere und billige Möglichkeit einfiel. Okay, ab geht er..1..2..3..4..:

20./21.06.1980   

Am 20.6. waren die Lokalreporter Achmed und RISS wieder unterwegs, diesmal ging es nach Düsseldorf. Dort spielten Killing Joke Killing Joke - Wardance und Basement 5 Basement 5  – ‎ Last White Christmas, einen Tag später sollte das Sommerfestival des Pop Club stattfinden. Wir kamen nachmittags in Düsseldorf an und gingen als erstes Mal in den berühmten Rock On. Die hatten zwar gute Platten da, doch man sah dort keine vernünftigen Leute, es kamen höchstens dauernd Hippies und Disco-Schleimer herein, auch zwei der Verkäufer sahen nach Discos aus (würg). Danach latschten wir zwei Stunden durch diese "schöne" Schickeria-Stadt und suchten eine Frittenbude, schauten uns die anderen bekloppten Plattenläden (den Govi und noch so einer) an und düsten dann endlich mit der Straßenbahn Richtung Neuss zur Schallmauer. Dieser Laden hat uns sofort gut gefallen, wir bekamen als erstes dort einen Kaffee ausgeschenkt (Thanks). Das Gute an diesem Laden ist die Atmosphäre dort, so richtig schön eng dort und nicht im Geringsten unpersönlich, auch fanden wir es stark, dass sie noch einige ältere Singles dahatten, auch einige Schweizer Platten, die ich mir sofort alle besorgte. Es gibt in der Schallmauer auch einige Fanzines, neben den örtlichen Blättchen Schmier und Ungewollt auch einige Auswärtige, die der Joost vom Fanzine Schmier per Austauschabo ergattert hat und dort verkaufen lässt. Schließlich brachten wir unsere Klamotten in die Jugendherberge und fuhren ins Okie Dokie. Es war ziemlich halbvoll, so 100-150 Leute, darunter viele Punx, zum Glück nicht so viele dumme New Waver. Nach langer Wartezeit begannen hier Killing Joke zuerst und sofort war Action, Pogo. Sie waren noch etwas lauter als in Bonn, und das tat meinen Gehörgängen richtig gut. Leider stand ich diese Pogo-Orgie nicht bis zum Schluss durch, da mir dieser Herr W. Wucher zuerst voll auf den Fuß latschte und dann auch noch so stieß, dass ich mir den Fuß verknackste (Ansonsten macht mir ja das auf die Füße getreten werden nichts aus, aber schaut euch den Kerl mal an). Vielen Dank noch einmal von dieser Stelle aus. Letzter Song von Killing Joke war War Dance, ihre letzte Single. Eine Zugabe gaben sie leider nicht, warum wohl? Basement 5 schauten wir uns nicht mehr an, ich hatte sie ja schon einmal gesehen und fand sie nicht so toll. Dann pennen und am nächsten Morgen erstmal den Ratinger Hof suchen gehen. Wir fanden ihn dann auch, er sieht im Vormittagslicht und völlig leer sehr öde aus. Das Viertel um den Ratinger Hof hat mir besonders gut gefallen, alles so schön bunt, voll Graffiti und so. Nachmittags wollten wir dann eigentlich in den Hof gehen, aber wie immer ist mir das Geld ausgegangen. Abends fuhr ich dann zum Festival, Achmed hatte kein Geld mehr und wollte auf eine Grillfete in der Herberge gehen, ich hatte zum Glück gerade noch sieben Mark zusammengekratzt. Auf diesem Festival sollten unter anderem auch zwei Gruppen aus England spielen, Crisis und Straps, auch die Oxidators aus Holland waren angesagt. Aber daraus wurde nichts. Crisis sollen sich aufgelöst haben hieß es, Straps spielten einen Tag vorher im Vorprogramm von den UK Subs und die Sängerin der Oxidators lag mit Lungenentzündung im Krankenhaus. Scheiße! Die dann auftretenden Gruppen waren: Static  Dancing aus Remagen, Lust und Hass Hass - Rocker aus Herne, CloxFoto CloxClox - No Attitudes aus Dortmund und dann auch noch die Aheads – Live in Berlin aus Herford, die dann auch begannen. Die Leute von den sahen schon ziemlich alt aus, doch ihre Musik gefiel mir echt gut, harter und schneller Pogo, all what I want. Etwas störten mich ja die englischen Texte, die ich sowieso nicht verstehe, außerdem war bei allen Gruppen die Gesangsanlage saumäßig, so dass die Texte unverständlich waren. Die haben übrigens schon eine EP herausgebracht. Danach kamen nach kurzer Pause dann Lust aus Herne. Viel weiß ich nicht mehr von denen, ich weiß nur noch, dass die eine Sängerin verwendeten und englische Texte machten, schlecht waren die nicht. Doch dann kamen sie, der Höhepunkt des Abends und die originellste Band: CLOX!!! Diese Dortmunder Gruppe hatte vorher einen Popper als Sänger, der aber aufgrund einer Schmier-Kritik gefeuert wurde (hähä). Beim Festival war Steve, ein Engländer am Mikro, der gleich am Anfang das Publikum freundlich anmachte und eine starke Show abzog. Clox waren sehr publikumsnah, das Tempo meistens sauschnell ala Razors oder Dickies, und diesmal störten mich auch die englischen Texte nicht, da sie sehr originell vorgetragen wurden. Das stärkste war als sie die englische Nationalhymne spielten, doch leider lief bei mir in Bezug auf Pogo nichts, da mein armer Fuß immer noch wehtat. Static   Dancing wirkten nach dieser hervorragenden Vorstellung eher schwach, ihr etwas weniger harter Stil schien auch den meisten Düsseldorfer Punks nicht zu liegen, fast alle gingen raus und verschnauften erstmal. Vor der Bühne stand nur noch ein Hippie und wackelte mit dem Kopf, so dass die langen, fettigen Haare durch die Gegend flogen. Eklig! Doch auch dieser eher peinlich anmutende Auftritt ging vorüber und als letztes standen Hass auf der engen Bühne. Hass waren kurzfristig für die Oxidators eingesprungen und spielten ohne Bass. Allzu gut gefiel mir das nicht. Dann war plötzlich Schluss, in der Straßenbahn wurde dann wieder schwarzgefahren (Oh Gott, Oh Gott) und am nächsten Morgen ging's dann wieder zurück nach Hause, back to the Dorf!

So viel zu meinem Ausflug in eine im Vergleich zur damaligen Bonner Punkszene riesige und lebendige Underground-Kultur. Gedankensprung: Da ich keinen Artikel über meinen ersten Berlinbesuch schrieb ein bisschen Labermeia:In dem Buch "No Future?" mokieren sich einige ehemalige Punks über das Schnorren, welches seit einigen Jahrzehnten genauso typisch für Punks geworden ist wie eine Irokesenfrisur oder das scheinbar ständige Biertrinken. Das kann ich nachvollziehen. Direkt zu Beginn der Achtziger spielte jenes keine Rolle im täglichen Leben der Punks und wurde - wenn überhaupt - nur von dem einen oder anderen sporadisch praktiziert. Wir wollten uns durch unserem Aussehen, Denken und Verhalten klar von der spießbürgerlichen Gesellschaft unterscheiden und abgrenzen, nicht Mitglieder der gescheitelten Bürgerszene um Hilfe bitten. In den vielen Jahren bis zu meiner Erkrankung versuchte ich mich ein einziges Mal im Schnorren, und zwar während meines ersten Berlinbesuches im Frühsommer 1980 vor einem Supermarkt in Berlin-Schöneberg, und von einem nagenden Hungergefühl dominiert. Allerdings dauerte meine persönliche Bettlerphase nur ungefähr zehn Minuten, dann hatte ich von der unterwürfigen Groschenwinselei die Schnauze voll. Das hierdurch hervorgerufene Gefühl der Erniedrigung war weitaus schwerer zu ertragen als die bohrenden Empfindungen in meiner Magengegend. Also ließ ich die Bettelei sein und suchte lieber stundenlang auf verlassenen Baustellen nach achtlos abgestellten Pfandflaschen. Das sorgte für ein besseres Gefühl, und das Endziel der Sättigung erreichte ich ebenfalls. Auch als einige Jahre später die Punkszene immer stärker von aus sozial schwachen Kreisen stammenden Jugendlichen gebildet wurde und das Schnorren den Rang einer Haupttätigkeit der Punks angenommen hatte, dachte ich noch immer so und konnte mich auch in den Folgejahren nie für diese punktypische Form der Bettelei erwärmen, obwohl ich manchmal sehr wenig oder gar kein Geld hatte. Ab Herbst 1983 war monetäre Armut dann sowieso kein Thema mehr, denn nachdem ich endlich eine Lehrstelle gefunden hatte, ging ich regelmäßig arbeiten, und dadurch war immer das nötige Kleingeld für Fressen und Saufen vorhanden.

Damit sind die drei von mir zur digitalen Publikation vorgesehenen Artikel aus Tiefschlag #3 nun eingefügt. Im nächsten Beitrag geht es dann mit Artikeln aus der erst im Januar 1981 erschienenen vierten Ausgabe des Fanzines weiter.

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