Als das leben noch lauter war (2)

Bei Niederschrift des folgenden Artikels vor knapp fünfunddreißig Jahren hatte ich mir sicherlich nie vorgestellt, ihn als 52jähriger und sich langsam an das Greisenalter heranpirschender Rentner genauestens zu lesen um ihn anschließend einer Wiederveröffentlichung zu unterziehen. Das Leben geht manchmal schon komische Wege… Jedenfalls finde ich diesen Bericht sehr pubertär und um „Prolligkeit“ bemüht. Naja, ich war damals 17 Jahre alt, und wie jeder junge Punk zu dieser Zeit bestrebt jederzeit und überall durch unflätiges Benehmen aufzufallen um uns nicht nur optisch deutlich von der herkömmlichen Protestkultur (diskussionsgeile junge Männer mit Vollbärten und Frauenfrisuren nebst Begleiterinnen in Omakleidern) zu unterscheiden. Außerdem war diese Unternehmung der erste gemeinsame Konzertbesuch der sich am Berliner Platz bildenden Punkszene und ich dementsprechend aufgedreht. Wir waren ungefähr drei Dutzend Leute, was für Achmed und meiner einer ein riesiges Erlebnis war, waren wir doch noch vor einem halben Jahr alleine zu zweit auf unserer vergeblichen Suche nach Punkkonzerten und Punkszenen durch die Gegend gezogen.
  Dieser Konzertbericht wurde in der dritten Ausgabe meines damaligen Fanzines Tiefschlag abgedruckt und erschien im Sommer 1980. Zu den beiden auftretenden Bands sei folgendes gesagt: S.Y.P.H. Fotos S.Y.P.H.S.Y.P.H. - Lachleute & Nettmenschen wurden bereits 1977 in Solingen gegründet und gehörten zu den deutschen Punkbands der ersten Welle, speziell zu einer der Bands die sich im Düsseldorfer Punktreff Ratinger Hof formierten. Aus Mitgliedern verschiedener erster Düsseldorfer Punkbands entstanden 1979 die Fehlfarben Fotos FehlfarbenFehlfarben - Große Liebe / Maxi, zu Anfangs eine Band die sich der in dieser Zeit in England dominierenden Ska-Musik widmete. Ihre kurz vorher erschienene Single Abenteuer & Freiheit dokumentierte diesen Stil, von dem sich die Band allerdings wenige Monate später wieder abwandte. Wer mehr über die frühe Düsseldorfer Szene und deren Bands erfahren möchte, sollte Verschwende Deine Jugend lesen (Nix Schleichwerbung, das Buch ist einfach gut). Okay, lassen wir RISS (so nannte ich mich damals) zu Worte kommen:

17.05.1980 Bonn Uni-Mensa

Es fing ja schon ganz chaotisch an, am Eingang hingen so einige Clown-Hippie-Typen rum, die dort die langsam anrückenden Gäste verarschten, mit solchen Spielen wie der alternative Urschrei oder sonen Scheiß. Diese Hippies mit ihrem Alternativ-Gequatsche nervten mich den ganzen Abend lang, diese Klugscheißer von Studenten können einfach nicht mehr alle Tassen im Schrank haben. Das Fest war eigentlich ganz gut organisiert, ich wusste schon vorher, dass es dort viel Chaos und Randale geben wird. Das konnte man schon von den Plakaten ablesen, bei so vielen verschiedenen Veranstaltungen in einer Halle, beginnend mit Theaterveranstaltungen, Jazz-Rock, Verkaufs- und Informationsstände von Parteien bis zu den Auftritten von S.Y.P.H. und Fehlfarben konnte einfach nicht alles reibungslos ablaufen. Dieses Fest wurde von der Bonner Stadtzeitung De Schnüss organisiert, ich glaube die werden nie mehr Punk oder New Wave Gruppen zu einem Fest einladen, die Leute meinen bestimmt jetzt wieder: "Oh die bösen Punkers!". Wer da war weiß genau warum. Für Bonner Verhältnisse waren sehr viele Punks erschienen, so ungefähr dreißig Mann. Ich meine natürlich die Leute des sogenannten härteren Kerns, die Pseudo-Punks kann man ja nicht mitrechnen. Nachdem schon viel Bier durch die Kehlen der Punks geflossen fingen zuerst Fehlfarben an zu spielen. Die Punks stürzten sofort vor die Bühne und begannen mit Pogo, die Hippies standen einige Meter entfernt im Halbkreis und gafften in die Gegend. Die Fehlfarben bringen live sehr wenig Ska-Musik, auch wenn viele dies von vorherein annahmen. Als sie dann Freiheit und Abenteuer spielten, war die Bühne proppenvoll, die Hälfte der Punks standen auf der Bühne und tanzten mit. Die Fehlfarben gaben dann noch einige Zugaben und dann war Schluss. Während des Auftritts kam so eine bekloppte Alte hoch und verlangte, dass die Fehlfarben aufhören sollten, da die Theatergruppe Ruhe haben wollte. Solche Sachen heizten die Stimmung unter den Panx gut an, es roch schon förmlich nach Randale.

S.Y.P.H. – Lachleute
und Nettmenschen

S.Y.P.H. fingen dann auch bald an, und ich fand sie auch recht gut. Scheiße war nur, dass sie mehr lange Stücke spielten, darunter auch viele neue Sachen, die kürzeren Stücke auf der ersten Seite ihrer LP hätten noch mehr Pogo Stimmung gebracht. Trotzdem waren S.Y.P.H. an diesem Abend gut in Form und ich fand es auch stark, dass Harry Rag bei What Happens ins Publikum sprang und mit Pogo tanzte. S.Y.P.H. mussten natürlich auch einige Zugaben geben, doch konnten sie nicht allzu viel bringen, da so eine komische Folk-Gruppe auch endlich mal spielen wollte. Als S.Y.P.H. dann von der Bühne runter waren und die Folk-Leute an zu jaulen anfingen, begann die Sache erst recht lästig zu werden. Die Punks brüllten herum und störten so gut wie es ging. Einige Hippies wischten sich ihre fettigen Haare aus den Augen und versuchten böse Blicke zu werfen, und schließlich kam noch so ein Scheißer angepopelt, der wohl einer der Veranstalter war und groß rummeckerte. Schließlich zogen die Punks dann doch runter ins Erdgeschoss, wo es viel interessanter war, da dort unten immer noch dieses Scheiß-Theater stattfand. Dort lief dann alles normal ab, Rummotzerei und so. Schade, dass keiner von den Alternativ-Hippies gewalttätig wurde, denn dann wäre es wirklich gut geworden. Nach dem Konzert zogen dann noch dreizehn!! Punx durch Bonn (Sensation!!!!). Fazit: Eine beschmierte Mensa, ein beschmierter VW-Bus und sehr viel Spaß.

Im März des Jahres, genauer gesagt am 26.03.80 (Labermeia: Ich bin kein Erinnerungswunder oder ein passionierter Tagebuchschreiber, sondern dank Seiten wie dieser ist es ein Leichtes das genaue Datum zu erfahren) trat meine damalige Lieblingsband Crass Wikipedia Crass Crass - The Feeding Of The Fivethousand zusammen mit den Poison Girls Audio Poison Girls - Hex im Neusser Okie Dokie auf. Das Konzert hätte ich liebend gerne gesehen, besaß aber am Monatsende leider kein Geld für eine Zugfahrt nach Düsseldorf und ärgerte mich deshalb sehr. Meine damalige Situation war wirklich nicht sehr berauschend. Seit dem Verlassen der Hauptschule im Sommer 1978 war ich arbeitslos, fand keine Lehrstelle und besuchte stattdessen ein sogenanntes Berufsvorbereitungsjahr. (Hinter der wichtig klingenden Bezeichnung verbarg sich nichts anderes als ein als Weiterbildungsmaßnahme getarntes Auffanglager für schulpflichtige Jungarbeitslose). Ich verdiente zwar keinerlei Geld, bekam zum Glück aber jeden Monat eine geringe BAföG-Zuweisung (was für mich eine Art "Lungerlohn" war, der zu einem großen Teil direkt nach Erhalt in der Siegburger Bahnhofskneipe in den Geldkreislauf zurückgeführt wurde).
Das Konzert fand dann an einem Mittwoch statt, und anstatt an diesem Abend Crass live zu sehen, saß ich zuhause und starrte das Muster meiner Tapete an. Am darauffolgenden Montag ärgerte ich mich dann noch mehr als meine Mutter "Übrigens ist Anfang letzter Woche die BAföG-Nachzahlung endlich gekommen. Du hast also wieder gut Geld. Ich wollte es dir eigentlich direkt sagen, aber dann wartete ich doch lieber bis heute damit, damit deine Woche mit einer guten Nachricht anfängt!" zu mir sagte.
P.S. Jahre später, genauer gesagt 1984 nach der Auflösung von Crass, ärgerte ich mich dann wieder und noch mehr als vier Jahre vorher über diesen Tag, denn nach jenem sollten sie niemals wieder außerhalb Großbritanniens spielen.

Nachdem die emotionalen Lektürenebenwirkungen abgeklungen sind kann ich nervlich etwas beruhigt die abschließenden Sätze dieses Beitrages verfassen. Im Nachhinein betrachtet wirkend diese Ereignisse ziemlich belanglos, die "Randale" banal und im Vergleich zu späteren Erlebnissen absolut unspektakulär. Publikum bei FehlfarbenAber egal, ist ja nur ein Zeitdokument. Zufälligerweise habe ich noch ein Foto von jenem Konzert, gehörte dieses Bild zu den wenigen Exemplaren die eine hirnrissige Bildvernichtungsaktion Mitte der achtziger Jahre überlebten. Jene links stehende Momentaufnahme entstand während des Auftritts der Fehlfarben und zeigt Teile des Publikums bei jenem. Von links nach rechts: Mit Sonnenbrille: Tommy, mit Hut: Achmed, mit Sicherheitsnadel im Ohr: Volker (RIP).
   So, nun beende ich meinen Rückblick auf im Nebel der Vergangenheit beheimatete pubertäre Zeiten, in denen das Bier noch knalliger, das Leben lauter und überhaupt „alles so schön bunt hier“ war. Einen kleinen Ausblick kann ich auch wagen: Der nächste Beitrag wird von einem zweitägigen Ausflug nach Düsseldorf im August 1980 handeln…

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