Immer weiter (3)

Diesmal kein Konzertbericht, sondern ein kleiner Artikel aus dem Tiefschlag #5 über eine gemeinsame Fahrt zu einem dann doch nicht stattgefundenden Konzert in eine andere Stadt. Ich finde ihn typisch für jene Zeit, weil damals ein Netz aus besetzten Häusern die Republik überzog die rasch zum ersten Anlaufpunkt für eine fremde Stadt besuchenden Punks wurden. Solche Häuser dienten oft als ein Kommunikationszentrum der Protestszene und boten oder vermittelten Besuchern in der Regel einen Übernachtungsplatz. Reisende Punks waren in jenen Jahren keine Seltenheit und sorgten neben den Austauschabos der Fanzinemacher für einen weiteren Kontakt unter den Punks verschiedener Städte. Der nachfolgende Kurzbericht ist ein schönes Beispiel für eine solche Unternehmung, entstand im Frühjahr 1981, und berichtet von einer gemeinsamen Reise ins nicht weit von Bonn entfernte Aachen:

Zur Jahreswende 1980/81 veröffentlichte Didi Hallervorden eine eingedeutschte Coverversion der damaligen Hitsingle "Santa Maria" mit dem Titel "Punker Maria". Diese Platte wurde zwar kein unerwarteter Kassenschlager wie die 1978 im Duett mit Helga Feddersen aufgenommene Single "Du, die Wanne ist voll" (ebenfalls eine Parodie, hier auf das Lied "You're The One That I Want" aus dem Hit-Musical "Grease"), erreichte aber durch eine häufige Wiedergabe in Funk und Fernsehen einen hohen Bekanntheitsgrad. Cover Punker Maria Für einige Monate war das Lied in jeder Munde, und besonders jugendliche Punkhasser begannen den Refrain "Punker Maria, ich hab meine Nadel verloren" zu trällern sobald sie eines Punk angesichtig wurden. Jeder ältere Zeitgenosse der damals als Punk herumgelaufen ist wird sich bestimmt daran erinnern. Für einige Monate musste ich fast jeden Tag diese oft disharmonisch vorgebrachten Textzeilen ertragen, manchmal sogar mehrmals innerhalb weniger Stunden. Naja, wenigstens versuchten meine Kritiker "witzig" zu sein, ersetzten die üblichen Pöbeleien und Beschimpfungen durch mehr oder minder melodiösen Gesang. Trotzdem blieb die dahinterstehende Intention leicht erkennbar: Der fröhlich vorgetragene Liedfetzen sollte entweder Häme ausdrücken oder diente als verbale Ouvertüre des Wunsches einer sofortigen kinetischen Kontaktaufnahme. Aber zum Glück fand die neue Nerverei ein rasches Ende. Wie bei Charterfolgen so üblich verschwand das Lied nach einigen Wochen wieder aus den Gedanken der Mitmenschen und wurde durch ein anderes Erfolgsprodukt der bürgerlichen Unterhaltungsindustrie ersetzt. Nun beherrschten wieder phantasievolle Vergleiche meiner Person mit in Fauna und Flora beheimateten Lebewesen die eingehenden Kommentare und alles war so wie vorher.

Irgendwann im Frühjahr 1981

Wir fuhren noch ein zweites Mal nach Aachen, angeblich sollte dann im UKW 'ne Gruppe spielen, doch stellte sich später heraus, dass das nur ein Gerücht war. Wir kamen irgendwann an und trafen uns in so 'nem Haus in Aachen das besetzt war. Einige kamen dann noch später, das waren die, die getrampt waren, nur Fabian und L. kamen nicht an, is' ja auch kein Wunder, welcher Autofahrer würde die beiden denn schon mitnehmen. Abends marschierten dann alle ins UKW, dort war wie immer Leichenhallenstimmung und nach einiger Zeit wurde es uns zu dumm und wir fingen an langsam ins Vanella abzuhauen. Dort sind wenigstens keine hohlköpfigen Skins und ein guter Kicker steht auch da. Irgendwie hatte die Wirtin vom Vanella Krach mit 'ner anderen Kneipe in Aachen, die Alte gab uns dann so um ein Uhr dreißig Mark die wir in dieser Kneipe versaufen und dabei ein bisschen Randale machen sollten. Schön. Kaum waren wir in der anderen Kneipe drin wurde das erste Bier gesoffen und die Gläser lösten sich in ihre Einzelteile auf. Nach 'ner Viertel Stunde war fast der ganze Glasbestand in der Kneipe vernichtet, der Wirt stand vor einem Nervenzusammenbruch und jagte fast alle raus, zumal das Klo auch noch Opfer einer Überschwemmung wurde. Ich war noch drinnen, als fast alle draußen waren, plötzlich klirrte es fürchterlich und der Wirt und noch ein paar andere Typen wetzten nach draußen. Als ich rauskam, war draußen eine schöne Schlägerei im Gange, an der Pinte gegenüber standen Spießer entgeistert herum und riefen nach der Polizei, die dann auch per Notrufsäule geholt wurde. Als der erste Bullenwagen kam, verpissten wir uns zu viert in eine Seitenstraße, ein Bullenwagen stochte mit Blaulicht hinter uns her, die anderen drehten und rannten zurück, während ich stehenblieb, mein schönes Messerchen wegwarf und ein Bulle aus dem Wagen ausstieg. Der dumme Bulle warf mich gegen das Auto, hätte ich mir nicht die Hände vorm Gesicht gehalten, hätte ich eine schöne Beule abgekriegt. Also durfte ich erstmal ne Runde mit'm Bullenwagen fahren. Nachher wurden noch Frank und Veronika in den Wagen gestopft, unsere Adressen notiert und dann durften wir gehen. Die Bullen hatten die Adressen von fast allen Bonnern aufgeschrieben, mal sehen ob das ne Anzeige gibt. Wir zogen dann alle zurück zum Haus, leider wurde ich wieder nüchtern und beschloss daher mit einigen anderen ins Vanella zu gehen. Dort angekommen, erfuhren wir, dass wir dort Freibier hätten, was auch ziemlich ausgenützt wurde. Morgens um fünf ging dann der Trauerzug von zehn bis fünfzehn total besoffenen Punx zurück zum Haus, ich hab gepennt wie 'n Stein und fand den Tag eigentlich ganz lustig, besonders wegen dem Freibier.

Im Nachhinein betrachtet und viele Jahrzehnte später bin ich natürlich amüsiert darüber wie naiv und blauäugig wir uns damals haben instrumentalisieren lassen. Naja, vielleicht war das auch einigen bewusst gewesen, aber schließlich waren wir jung, von einem starken Drang nach unterhaltsamen Erlebnissen behaftet und standen fast jeder Abwechslung und Aufregung versprechenden Aktion aufgeschlossen gegenüber. Passiert ist auch nicht sooo viel, ein paar zerschlagene Biergläser und eine kleine Boxerei (die höchstens ein paar Beulen und Prellungen als Resultat hatte). Jedenfalls hatten wir trotz der Enttäuschung über das ausgefallene Konzert das Beste aus dem Abend gemacht, enthielt er rückblickend betrachtet alle Ingredienzien (kostenlose Fahrt, Pennplatz, ein bisschen Randale, nächtliche Stadtrundfahrt im Streifenwagen, Freibier) für einen spaßvollen Besuch. Wir konnten diese Wochenendtour also als "gelungen" bezeichnen.
   Im nächsten Beitrag wird wieder über eine ähnliche Tour berichtet, aber diesmal war der Abend deutlich mehr geprägt von musikalischer als exekutiver Unterhaltung. Genauer gesagt geht es um ein Konzert in Duisburg, einer Stadt die ich damals besonders gerne besuchte.

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